Voyager 018 - Seven of Nine
denen sie gelitten hatte. Derzeit entsann sie
sich nicht daran, aber sie hatte sich selbst in Aufzeichnungen
gesehen, während ihr Selbst in einem anderen Leben gefangen
gewesen war. Es bestand also kein Zweifel daran, dass die
Auskünfte des Doktors der Wahrheit entsprachen.
Ein Vogel… kein Rabe… Mit spindeldürren Beinen und einem
scharlachroten und schwarzen Gefieder…
»Ein Skorrak«, hauchte sie. »Ich erinnere mich… «
Keine Halluzination, sondern eine Erinnerung. Es handelte
sich nicht um die direkten, unmittelbaren Bilder des Jetzt,
sondern um Reminiszenzen hinter dem zarten Schleier des
Damals, der alles sanfter und freundlicher gestaltete. Eine wahre
Erinnerung, so deutlich wie die an den Kampf gegen die Ku –
beziehungsweise die Tuktak – vor nur einer Stunde.
Ihre Lippen formten ein Lächeln. Sie glaubte, einen wichtigen
Durchbruch erzielt zu haben. Vielleicht erholte sie sich wirklich.
Sie erinnerte sich an Keela und…
Falten bildeten sich in ihrer Stirn. Weitere Erinnerungen
kehrten zurück, betrafen die junge Graa namens Keela.
Unangenehme Erinnerungen an Furcht, Gefangennahme und…
Annika/Seven schloss die Hände so fest um ein Werkzeug,
dass die Finger schmerzten. Sie entsann sich daran, assimiliert
zu werden, nicht als Annika Hansen, sondern als Keela. Über
den Erinnerungen lagen wie eine dicke Staubschicht auf einem
alten Möbelstück ihre eigenen Reminiszenzen als Seven of
Nine, Dritter Zusatz von Unimatrix Null Eins.
Die gleiche Szene, aus zwei verschiedenen Perspektiven
betrachtet. Sie selbst, Seven, war die Borg gewesen, die Keelas
Mutter getötet, dann einen kalten Blick auf die kleine Keela
gerichtet, jene schrecklichen Worte gesprochen und sie
anschließend ins Kollektiv gezwungen hatte.
Ein Tor schien sich in ihr geöffnet zu haben und weitere
Erinnerungen strömten in ihr Bewusstsein. Die alte Bildhauerin
Druana war Seven of Nine mit einer fast demütigenden
Gelassenheit gegenübergetreten. Seven hatte natürlich
triumphiert. Letztendlich triumphierten die Borg immer. Die
Ereignisse erst aus Druanas Blickwinkel zu sehen und dann aus
ihrem eigenen, weckte vage Übelkeit in Seven. Unbewusst
tastete sie nach ihrer Magengrube.
Das letzte Stadium von Amaris Assimilation hatte sie selbst
geleitet. Während der medizinischen Prozeduren erwachte
Amari, und Seven empfand nichts, als sie ihr den Arm
amputierte. Solche Dinge blieben für eine Borg-Drohne ohne
Bedeutung. Das Abschneiden des Arms gehörte zum Vorgang
der Assimilation, und eigentlich erwies sie dem armseligen,
gefiederten Geschöpf namens Amari damit einen Gefallen,
indem sie ihm die Möglichkeit gab, die Perfektion des Borg-
Kollektivs kennen zu lernen…
Doch die Erinnerungen der assimilierten Wesen zeigten Seven,
welche Leben sie ausgelöscht hatte, und daraufhin begriff sie, an
einem ungeheuren Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die
Zerstörung des Individuums. Captain Janeway wurde nicht
müde, darauf hinzuweisen, dass Menschen und andere
intelligente Wesen lieber starben, als sich assimilieren zu lassen.
Seven war solchen Behauptungen mit großer Skepsis begegnet,
aber jetzt begriff sie, dass Janeway es ernst gemeint hatte.
Sie entsann sich an das Leben eines jungen Katzenwesens, das
im warmen Sonnenschein einen Vogel jagte; an die Existenz
einer Frau, die ihren Partner liebte; an die Zufriedenheit einer
Bildhauerin, die Steinen Form und Schönheit gab. Sie erinnerte
sich an Tausende von anderen Leben, die sie, Seven of Nine,
unbarmherzig vernichtet hatte…
»Was habe ich getan?« flüsterte sie. Das Gefühl der Übelkeit
verstärkte sich, und mitten in ihrer Brust entstand ein
sonderbarer Schmerz. Ihre ersten Erfahrungen mit Kummer
betrafen die Zeit nach Kovans Selbstmord, aber jene Trauer war
nichts im Vergleich mit der Bestürzung, die sie nun zu
überwältigen drohte.
Ein Schatten fiel auf sie. Einige Sekunden lang konnte sich
Seven nicht bewegen, und dann zwang sie ihren Blick nach
oben. B’Elanna Torres stand vor ihr, eine Frau, die nie einen
Hehl aus ihrer ablehnenden Haltung der früheren Borg
gegenüber gemacht hatte. Oft war es zwischen ihnen zu
Auseinandersetzungen gekommen, und vermutlich würde das
auch in Zukunft der Fall sein. Aber in diesem Moment zeigte
das Gesicht der Halbklingonin Anteilnahme.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Langsam schüttelte Seven den Kopf. »Nein«, erwiderte sie
leise. »Nein, es wird nie
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