VT03 - Tod in den Wolken
zu überhören.
Es dauerte einen Moment, bis Nabuu begriff, dass sie ihn meinte. Obwohl Tala ihn schon wieder beleidigen wollte, fühlte sich der junge Kilmalier erleichtert. Besser das als ihre Tränen.
Er verschränkte die Arme hinter seinen Rücken und schlenderte betont gelassen in den Raum. Seine Füße versanken in weichen Teppichen. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, groß wie ein Fischerboot. Seine Beine glichen den verschlungenen Wurzeln eines uralten Baumes.
Davor erwartete ihn der Berater des Kaisers. Er mochte an die fünfzig Jahre alt sein und war nicht viel größer als Tala. Buschige Koteletten umrahmten sein Gesicht bis zum Kinn, und auf seine Stirn war ein aufgeschlagenes Buch tätowiert. Kleine Lachfältchen lagen wie Sonnenstrahlen um seine braunen Augen. Er trug lange Hosen und ein weit geschnittenes Hemd, beides aus weißem Leinenstoff. Zusammen mit seinem grauen Haarschopf erinnerte er Nabuu an eine Geisterscheinung. Hinter ihm ragte ein Regal aus dunklem Bambus bis unter die blaue Decke, gefüllt mit unzähligen Büchern. Der Berater musste ein sehr kluger Mann sein, wenn er all diese Bücher gelesen hatte.
Tala räusperte sich. Sie stand neben dem Grauhaarigen und warf Nabuu einen vernichtenden Blick zu.
Der junge Krieger versuchte sie nicht zu beachten. Er wandte sich dem Berater zu und machte die Andeutung einer Verbeugung. »Wir sind Nabuu aus Kilmalie und erbitten die Hilfe des erlauchten Kaisers!«
Der Ältere schien einen Augenblick lang amüsiert über die Rede des Kilmalier. Seine Mundwinkel zuckten und die Fältchen um seine Augen wurden tiefer. »Wie ich sehe, hat meine Nichte dich in die Sprache des Hofes eingewiesen. Ich bin Ord Bunaaga, der Berater des Kaisers und ein Mann aus einfachen Verhältnissen. Du kannst also sprechen, wie du es gewohnt bist.«
Überrascht schaute Nabuu von Bunaaga zu Tala. Die senkte den Blick. Es schien ihr nicht recht zu sein, was ihr Onkel da von sich gab. Nabuu aber war es sehr recht. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
»Kilmalie ist in Not. Nicht nur die Feuer des Götterberges, sondern auch die Gruh sind über unsere Stadt gekommen. Diese schrecklichen Wesen haben Prinzessin Lourdes de Rozier entführt. Mein Freund hat mit einigen tapferen Kilmaliern die Verfolgung aufgenommen. Aber um die Gruh zu bekämpfen, braucht es vermutlich mehr als nur Mut.« Nabuu dachte an Kinga und Zhulu. Ob sie noch lebten? »Prinzessin Antoinette wollte, äh, konnte nicht helfen. Jetzt hoffe ich auf den Kaiser. Aber wie ich hörte, ist er gar nicht hier?«
Bunaaga zupfte an einer seiner Koteletten. »Nein, auch er verfolgt etwas, das wie ein Geist Tod und Verderben über die Dörfer um den Victoriasee bringt. Aber ich habe Boten nach Seiner Majestät ausgeschickt.«
Nabuu ließ den Kopf hängen. Er hatte gehofft, dass man hier in Wimereux schneller und entschlossener handeln würde als in Avignon! Aber er hatte sich geirrt! Wieder wurde eine Entscheidung in die Länge gezogen! Wer wusste, wann der Kaiser zurückkehren würde.
Bunaaga bemerkte die Enttäuschung des jungen Kilmaliers. Er trat neben ihn und legte seine Hand auf dessen Schulter. »Ich verspreche dir, wenn der Kaiser bis morgen Nacht nicht zurückgekehrt ist, schicke ich selbst eine Truppe unserer erfahrensten Kämpfer nach Kilmalie!«
Der junge Triping hob den Kopf.
Waren das nur leere Worte, um ihn zu trösten? Doch als er in das Gesicht des Älteren blickte, wusste er, dass dieser Mann meinte, was er sagte. Nabuu atmete auf.
Bunaaga klopfte ihm ermutigend auf die Schulter und schlenderte hinüber zum Fenster. »Der Leichnam des Gruh wird zur Stunde von dem besten Wissenschaftler der Wolkenstadt untersucht. Das wird uns Aufschluss geben, mit welcher Art Wesen wir es zu tun haben…«, er ließ seinen Blick über die Gärten vor dem Fenster schweifen, »… und wie wir sie vernichten können.« Jetzt drehte er sich wieder um und lächelte Nabuu an. »Bis dahin, mein junger Freund, ruhe dich aus von den Strapazen deiner langen Reise. Tala wird dich in das Gästehaus bringen und dafür sorgen, dass es dir an nichts fehlt.« Seine Augen wanderten hinüber zu seiner Nichte. »Wenn du dich ausgeruht hast, wird sie dir die Stadt zeigen. Nicht wahr, Tala?«
Tala lehnte an dem Tisch mit den Wurzelbeinen. Gespannt hatte sie den Reden der beiden Männer gelauscht. Die Sorge Nabuus um seine Leute in der Heimat war ihr nicht entgangen. Auch nicht der dunkle Schatten, der sich über die
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