VT09 - Die tödliche Woge
bleiben eigentlich nur noch die beiden Prinzessinnen. Unter uns gesagt könnte ich es verstehen, wenn ihnen jemand an den Kragen will. Allerdings glaube ich nicht, dass beide getötet werden sollen, denn wir brauchen ja auch noch einen Täter…«
»Ja, der Täter…«, erwiderte Leclerc lahm.
»Ihr kommt dafür selbstverständlich nicht in Frage. Und der Raffzahn…? Nun ja, er ist ein gnadenloser Zahlenverdreher, aber für einen Mörder erscheint er mir doch zu unbedarft. Das aber würde bedeuten, dass…«
»Eine der Prinzessinnen die andere umbringen will!«
De Fouché nickte. »Schwestermord, die verwerflichste aller Taten. Ich gehe davon aus, dass Antoinette oder Lourdes die Tat selbst ausführen müssen, denn wer könnte so niederträchtig sein, sich an einem solchen Komplott zu beteiligen? Ich wüsste niemanden…«
Leclerc atmete auf.
»Das heißt…«
Ihm stockte der Atem.
De Fouché kratzte sich das spitze Kinn. Sein Kopf wirkte jetzt scharfkantig wie der eines Habichts, der kurz davor war, sich auf seine Beute zu stürzen. »Es müsste jemand sein, dem die Mörderin etwas versprochen hat. Eine Beförderung zum Beispiel.«
Bei allen Göttern! Dieser verfluchte Kerl hat alles mit angehört!
»Was wollt ihr von mir?«, würgte Leclerc hervor.
»Ich will, dass jeder von uns alles in seiner Macht Stehende tut, um den Mörder dingfest zu machen. Ich zum Beispiel überlege, Leutnant Cris hinzuzuziehen, einen sehr fähigen, allerdings leider auch völlig erbarmungslosen Mann, der mir treu ergeben ist und jede meiner Anweisungen, egal wie sie aussehen mag, ohne zu zögern befolgen würde. Es wäre ihm ein Leichtes, ein Geständnis aus dem Mörder herauszupressen.«
Leclerc tupfte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Aber woher sollen wir wissen, wer es ist?«
»Ja, woher? Das ist ein Problem. Da bleibt uns wohl nur eine Möglichkeit: Wir müssen abwarten, bis die Tat geschieht – und dann versuchen, im letzten Moment Rettung zu bringen.« Er hob die Schultern und machte ein trauriges Gesicht. »Es kann natürlich passieren, dass wir zu spät kommen, aber dieses Risiko müssen wir eingehen.« De Fouché beugte sich vor und fasste Leclerc erneut ins Auge. »Bevor wir etwas unternehmen, müssen wir natürlich auch über die Konsequenzen einer solchen Mordtat nachdenken. Es gibt nicht wenige in Avignon, die behaupten, zwei Prinzessinnen im Palast seien eine zu viel…«
»Kommandant!«
»Ich gebe nur wieder, was ich auf dem Marktplatz aufgeschnappt habe. Wenn wir also einmal annehmen, der Mörder könnte seine Tat ungestört ausführen… und würde nachher von der überlebenden Schwester seine Belohnung in Empfang nehmen… Dann könnte man doch erwarten, dass er weitere Mitwisser selbst zu entlohnen bereit wäre, oder?«
»Auf jeden Fall!«, presste Leclerc hervor. »W…«
Was verlangt ihr?, hätte er um ein Haar hinterher geworfen.
De Fouché nickte zufrieden. »Ihr wisst, wie ich über Beförderungen denke, verehrter Kanzler. Zu oft handelt es sich lediglich um Gefälligkeiten, die für das System schädlich sind. Ich dagegen bin dafür, stets denjenigen zu befördern, der der Sache am meisten Nutzen erweisen kann.«
»Der Sache?«, echote Leclerc verständnislos.
»Jemand, der zum Beispiel im neu erbauten Wimereux nach dem Rechten sehen könnte. Jemand, der Erfahrung als Leiter der Exekutive hat und ohne Weiteres dazu geeignet wäre, einen höheren Posten zu übernehmen.«
Es stand ohne Zweifel fest, wer dieser Mensch in de Fouchés Augen war. Dieser ruchlose Kretin will also ebenfalls an der Sache verdienen – ohne einen Handschlag dafür zu tun.
»Ich werde über eure Ansicht nachdenken«, versprach Leclerc.
»Ich danke euch, Kanzler.« De Fouché blickte zu der Uhr an der Wand. »Jetzt haben wir über unsere Plauderei fast die Zeit vergessen! Ich will euch nicht länger von euren Verpflichtungen abhalten und wünsche euch viel Spaß beim Bankett. Ich habe selbst Hunger und werde sehen, ob in der Küche ein Bissen für mich abfällt. Sie liegt ja ganz in der Nähe des Bankettsaals, wenn ich richtig informiert bin, sodass ich im Zweifel erreichbar bin…«
»Ganz in der Nähe, ja…«
De Fouché stand auf. »Vielen Dank für den inspirierenden Dialog, Kanzler. Ich werde noch lange an dieses Gespräch zurückdenken, dessen könnt ihr versichert sein.«
***
Gegenwart
Pierre de Fouché, der Sonderbeauftragte für Militärisches der Wolkenstadt Orleans-à-l’Hauteur,
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