Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
jetzt dunkelgrün, die Stängel waren auch mit schweren Büscheln leuchtend roter Blüten behangen, die wie Trauben herabhingen. Sie trat darauf zu, doch Roxy ruckte an ihrer Leine und zog sie weg.
Als Sam auf den Schotterweg vor ihrem Haus trat, überkam sie einen Augenblick lang ein Gefühl der Panik. So ganz alleine loszugehen war ein bisschen verrückt. Was, wenn sie das Gleichgewicht verlor und hinfiel? Ihr Bein war inzwischen kräftiger, aber war es schon ausreichend stark, dass sie nach einem Sturz alleine aufstehen konnte? Oder würde sie dann daliegen wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte?
Hör auf damit , sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Erinnere dich daran, dass dies der erste Tag ist und so weiter. Wollte sie, dass Angst zu einem Teil ihres neuen Vokabulars wurde – ihres neuen Lebens? Nein, das wollte sie nicht, und sie würde es nicht zulassen. Plötzlich fühlte sie sich erleichtert. Wow, war es so einfach? Welche anderen Worte könnte sie aus ihrem Leben verbannen? Hmm, Deadline … unbedingt Deadline. Von jetzt an würde sie nur noch Deadlines einhalten, die sie selbst festgesetzt hatte. Sie würde sich keine Predigten ihres Vaters mehr anhören, dass man den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden müsse. Kein endloses Geschwafel mehr über Firmenziele. Sie würde ihre eigenen Ziele festlegen, vielen Dank auch.
Wohltätigkeitsausschusstreffen sollten ebenfalls gestrichen werden. Sie dachte an die endlosen Sitzungen zurück, an denen sie auf Wunsch ihrer Mutter teilgenommen hatte. Gerede, nichts als Gerede und keinerlei Aktion. Mit Leuten zusammensitzen, deren Vorstellung von Wohltätigkeit darin bestand, einen großen Scheck auszustellen, um ihr Gewis sen zu beruhigen, und sich wieder um ihre Geschäfte zu kümmern. Nun, das war nichts für sie. Sie musste sorgsam mit ihrem Geld umgehen – zumindest bis sie wusste, wie erfolgreich ihre Karriere als Künstlerin verlaufen würde –, aber das bedeutete nicht, dass sie keine guten Werke tun konnte. Sie blickte auf Roxy hinunter, die glücklich neben ihr her zottelte. So eine großartige Hündin, und man konnte ja sehen, was Roxy in Sams eigenem Leben bewirkt hatte. Und das in so kurzer Zeit. Da schlenderte sie jetzt die Straße entlang, ganz ohne Sorge, Angst oder Panik. Roxy hatte ihr ein gewisses Selbstvertrauen zurückgegeben, aber ohne Greg wäre die Hündin wahrscheinlich eingeschläfert worden. Jawohl, das würde sie tun – sie würde ihre Zeit opfern und ehrenamtlich in einem Tierheim arbeiten. Anderen Hunden – und Menschen – helfen, eine zweite Chance im Leben zu bekommen.
Sam hob den Kopf und war bestürzt. Sie hatte sich so tief in die Pläne für ihr Leben verloren, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie weit sie schon gegangen war. Sie war schon zur Hälfte um den See herum. Als sie sich gerade umdrehen und zurückgehen wollte, verharrte sie. Die Klänge einer bezaubernden Melodie wehten durch die Bäume heran. Sie war sehr schön, aber Sam erkannte sie nicht. Sie ging ein paar Meter in Richtung der Musik und trat auf eine Lichtung hinaus. Ein kleines Stück entfernt befand sich Fritz’ Haus. Er musste seine Stereoanlage eingeschaltet haben.
Sam stand einen Augenblick still da und lauschte der flotten Melodie, doch bevor sie sich abwenden konnte, trat Fritz mit einer Mülltüte in der Hand auf die Veranda. Als er sie sah, rief er nach ihr.
»Samantha, sind Sie zu Besuch gekommen?«, fragte er erfreut.
Sam fühlte sich ertappt und zögerte. »Ach, es ist so ein schöner Morgen, da habe ich beschlossen, einen längeren Spaziergang zu machen.«
Fritz setzte die Tüte auf dem Boden ab und hob das Gesicht der durch die Bäume hindurchsickernden Sonne entgegen. »Nicht wahr? Ein Unwetter scheint immer alles so sauber zu waschen.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Sam und spähte an ihr vorbei. »Wo ist denn Ihre Anstandsdame?«
»Anne?« Sam schüttelte den Kopf. »Roxy ist heute meine einzige Begleiterin.«
»Das ist gut für Sie. Ein wenig Unabhängigkeit hat noch nie jemandem geschadet.« Er winkte sie heran. »Kommen Sie rein. Trinken Sie doch einen Kaffee mit mir.«
»Das ist nett von Ihnen, aber ich möchte nicht stören.«
»Sie stören nicht«, erwiderte er und stieß die Türe mit der Fußspitze an. »Sie retten mich vor langweiliger Hausarbeit.«
Sam ruckte leicht an Roxys Leine und ging hinüber zu Fritz. Nachdem er sie ins Haus geleitet hatte, ging er zur Stereoanlage. Sam hielt ihn
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