Wachen! Wachen!
sich die Finger – oder gar etwas anderes – zu verbrennen.
D ie Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und wirkte dabei wie ein leicht pochiertes Ei.
Selbst in normalen Zeiten zeigten sich zahlreiche Gestalten und Figuren auf den Dächern von Ankh-Morpork – die meisten aus Stein –, doch jetzt gesellten sich ihnen diverse Gesichter hinzu. Normalerweise sah man solche Gesichter nur selten, zumindest außerhalb von Holzschnitten über die Gefahren übermäßigen Gin-Genusses bei Leuten, die für gewöhnlich keine Holzschnitte kauften. Viele Gesichter klebten an Körpern mit mehr oder weniger eindrucksvollen Waffen – die meisten hinterließen leere Stellen über Kaminen und waren von Generation zu Generation weitergegeben worden, nicht selten mit Gewalt.
Mumm saß auf den Schindeln des Wachhauses und beobachtete Dutzende von Zauberern, die auf den Dächern der Universität warteten. Hinzu kamen zahlreiche Möchtegern-Schatzsucher in den Straßen, die Schaufeln und Säcke bereithielten. Wenn der Drache tatsächlich ein Bett in der Stadt hatte, so würde er in der nächsten Nacht auf dem Boden schlafen.
Irgendwo weiter unten erklang Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnappers Stimme – oder eines Kollegen –, der gerade heiße Würstchen verkaufte. Mumm fühlte plötzlichen Stolz auf eine Bürgerschaft, die ihren Mitopfern trotz einer drohenden Katastrophe heiße Würstchen anbot.
Die Stadt hielt den Atem an. Einige Sterne spähten hinter hohen Wolken hervor.
Colon, Nobby und Karotte befanden sich ebenfalls auf dem Dach. Colon schmollte, weil ihm der Hauptmann verboten hatte, Pfeil und Bogen zu verwenden.
Solche Dinge wurden in Ankh-Morpork nicht geduldet, da der Pfeil eines Langbogens einen hundert Meter entfernten und völlig unschuldigen Zuschauer treffen konnte – anstatt den völlig unschuldigen Zuschauer in unmittelbarer Nähe.
»Das stimmt«, bestätigte Karotte. »Es steht im Gesetz über Projektilwaffen (öffentliche Sicherheit) von 1634.«
»Hör endlich auf damit, dauernd so ‘n Zeug zu zitieren«, knurrte Colon. »Wir
haben
hier keine Gesetze mehr! Sie sind längst überholt! Jetzt ist alles Dingsbums. Pragmatisch.«
»Ob Gesetz oder nicht«, sagte Mumm, »ich fordere dich hiermit auf, das Ding beiseite zu legen.«
»Aber, Hauptmann…«, wandte Colon ein. »Früher konnte ich ziemlich gut damit umgehen.« Grämlich fügte er hinzu: »Außerdem bin ich nicht der einzige, der eine solche Waffe trägt.«
Damit hatte er vollkommen recht. Die nahen Dächer sahen aus wie Igelrücken. Wenn sich der Drache tatsächlich zeigte, mußte er durch dickes Holz mit kleinen Lücken drin fliegen. Das arme Tier konnte einem fast leid tun.
»Weg damit!« wiederholte Mumm. »Ich werde nicht zulassen, daß meine Wache Bürger erschießt. Und deshalb: Laß die Finger davon.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Hauptmann«, pflichtete Karotte bei. »Wir sind hier, um zu dienen und zu schützen, nicht wahr?«
Mumm warf ihm einen kurzen Blick zu. »Äh«, erwiderte er. »Ja. Ja, ich glaube schon.«
Lady Käsedick rückte einen Klappstuhl auf dem Dach ihres Hauses zurecht, richtete das Fernrohr aus, stellte eine Thermoskanne mit Kaffee sowie einen Teller mit belegten Broten auf die Brüstung, setzte sich und wartete. Ein Notizbuch lag auf ihren Knien.
Eine halbe Stunde verging. Mehrere Pfeilhagel begrüßten eine vorbeiziehende Wolke, einige ziemlich verdutzte Fledermäuse und den aufgehenden Mond.
»So ein verdammter Mist!« fluchte Nobby schließlich. »Warum müssen die Leute unbedingt Soldaten spielen? Dadurch haben sie das Biest verschreckt.«
Feldwebel Colon ließ seine Pike sinken. »Sieht ganz danach aus«, gestand er ein.
»Außerdem wird’s hier oben langsam kalt«, stellte Karotte fest. Er gab Mumm einen vorsichtigen Stoß. Der Hauptmann lehnte an einem Schornstein und starrte mißmutig ins Leere.
»Vielleicht sollten wir nach unten zurückkehren, Sir«, schlug er vor. »Uns ein Beispiel an den anderen nehmen.«
»Hmm?« murmelte Mumm, ohne den Kopf zu drehen.
»Bestimmt beginnt es bald zu regnen«, sagte Karotte.
Mumm antwortete nicht. Seit einigen Minuten beobachtete er den Kunstturm, Zentrum der Unsichtbaren Universität und angeblich ältestes Gebäude in der Stadt. Zweifellos war er das höchste. Zeit, Wetter und gleichgültige Renovierungen verliehen ihm ein knorriges Erscheinungsbild. Er wirkte wie ein Baum, der zu viele Gewitter erlebt hatte.
Der Hauptmann versuchte sich an die
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