Wachgeküßt
es schlimm fände, wenn es so wäre, also, ich meine, jeder, wie er will, leben und leben lassen und so...«
O Gott, Alex, was erzählst du denn da?
»Ich glaube, ich suche mir ganz schnell ein Mäuseloch und verkrieche mich darin.« Ich lächele ihn erbarmungswürdig und entschuldigend an und entferne mich zögernd.
»Nicht so schnell.« Er streckt den Arm aus und packt entschieden, aber freundlich meinen Oberarm. »Diesmal läufst du mir nicht davon, Alex. Wir zwei müssen uns mal unterhalten.«
»Wohin gehen wir?«
Immer noch fest meinen Arm umklammernd dirigiert Jake mich durch die lachende, tanzende Menge in Richtung Wohnungstür. Serena, die fälschlicherweise annimmt, daß ich soeben den Weltrekord in Sachen Schnelligkeit beim Aufreißen gebrochen habe und daß Jake mich aus dem Raum zerrt, um mich geradewegs ins Bett zu kriegen, hält auf der anderen Seite des Raums begeistert den Daumen hoch.
»Nach oben.«
»Darauf bin ich auch schon gekommen«, erwidere ich, als wir zwei Treppen bis zum Dachgeschoß des Gebäudes hinaufmarschieren, statt nach unten und hinaus zu gehen.
Jake zieht mich wieder hoch, als ich auf der letzten Stufe stolpere. Die sportliche Anstrengung und der Alkohol haben mich ins Wanken gebracht. Er lehnt mich gegen eine riesige Hydrokultur und sucht in dem schwarzen, kleinen Lacktäschchen, das er hält, als sei es ansteckend, nach dem Schlüssel.
»Was machen wir hier?«
»Weißt du, das könnte ich mich auch fragen«, erwidert er mit beißender Ironie, zieht den Schlüssel heraus und öffnet die Tür. »Was ich hier mache und warum um Himmels willen ich diese Klamotten trage? Was ich alles für dich mache, Alex Gray...«
Was er alles für mich macht?
Er stößt die Tür auf und bedeutet mir einzutreten.
»Willkommen in meinem bescheidenen Heim.«
Vorsichtig gehe ich an ihm vorbei und betrete eine Wohnung, die fast identisch mit der Jems ist. Sie ist noch »schnieker« als Jems Wohnung, da es sich um das Penthouse handelt. Das Wohnzimmer ist größer, und da, wo bei Jem eine Wand mit Fenstern ist, die auf die Straße vor dem Haus gehen, hat diese Wohnung eine einzige, große Glasfront mit einem Balkon davor, von wo man den Fluß hinter dem Haus überblicken kann.
»Wohnst du etwa hier?« Jetzt bin ich wirklich verwirrt.
»Ich brauchte eine Wohnung. Die hier war zu vermieten.« Mit dem Absatz schließt er hinter uns die Tür. »Dein Bruder hat mich darauf aufmerksam gemacht.«
»Aber ich dachte, du würdest bald wieder gehen?«
»Ich habe beschlossen, eine Weile hierzubleiben.« Jake wirft das Täschchen auf ein breites, gelbes Sofa, das noch eine Schutzhülle mit Luftbläschen trägt. Dann kickt er seine Ballerinas in die Ecke. Ich sehe, wie sich seine Wadenmuskeln augenblicklich
entspannen, als seine Füße in den dicken Flor des beigefarbenen Teppichbodens einsinken.
Vor Erleichterung schließt er die Augen.
»Himmel, tut das gut.«
Erst jetzt fällt mir auf, daß er trotz der Aufmachung als Frau weder Strumpfhose noch Make-up trägt.
»Ich weiß, ich sehe absolut lächerlich aus, stimmt’s?« fragt er, als er bemerkt, daß ich ihn beobachte.
»Na ja...« Ich zögere, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll.
Es gibt Typen, die bleiben ewige Jungen und sehen auch immer jungenhaft aus, sie scheinen nie den Übergang vom Kind zum Mann zu vollziehen. Nicht so Jake. Er ist ganz entschieden ein Mann, daran besteht kein Zweifel. Und wie er da mit der Perücke und dem Kleid steht, ist es klar, daß er ziemlich seltsam aussieht. Aber noch seltsamer ist, daß ich ihn immer noch süß finde. Ich würde ihm gerne die Perücke und das Kleid ausziehen, aber das liegt mehr an meiner sinnlichen Lust als daran, daß ich ihn wieder in eine Hose stecken will.
»Wie lange wohnst du denn schon hier?« wechsele ich schnell das Thema und hoffe, daß ich, wenn ich mich auf die vollgepackten Kisten konzentriere, die überall wahllos aufeinandergestapelt rumstehen, nicht mehr darüber nachdenke, wie viele von den Luftbläschen wohl ein bißchen energische Sexualathletik überstehen würden.
Er sieht auf die Armbanduhr.
»Oh, ungefähr... drei Stunden und fünfzehn Minuten.«
»Du bist heute erst eingezogen? Man sollte meinen, daß du da mit Auspacken beschäftigt bist und nicht mit Feiern.«
»Tja, also, normalerweise würde ich das auch, aber ich wollte dich sehen, also...« Er deutet mit den Händen auf das Kleid. »Da bin ich. Dein Bruder ist ein Sadist. Ohne Rock kein
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