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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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schon gewusst ...« Ich befürchtete, er würde mir anhören, dass ich log, also machte ich hastig weiter. »Ich bin immer wesentlich älter gewesen als du, ich habe auf dich aufgepasst. Überleg mal, du hast dich bei mir ausgeweint, als du dich zum ersten Mal verknallt hast!«
    »Stimmt nicht«, sagte er. »Das zweite oder dritte Mal vielleicht. Aber mein erster Schwarm warst du.«
    »Siehst du?«, stürzte ich mich darauf. »Das kann es doch nicht sein. Das ist ... das ist doch nur so ein Teenietraum. Das kann für keinen von uns beiden gut sein.«
    »Rose, was willst du mir damit sagen?«
    Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich wollte den Schock, die Betroffenheit nicht sehen. Aber ich hörte seine gepresste Stimme, die kaum verhohlene Verzweiflung, und hoffte, dass meine Stimme mich nicht so leicht verriet. »Dass wir
nicht mehr zusammen sein können. Dass das mit uns nicht richtig ist.«
    »Nicht ... richtig?«
    Ich wusste, was er dachte. Das mit uns war das Richtigste auf der Welt. Die Welt kam ins Lot, wenn wir beide zusammen waren.
    »Nein.« Ich erstickte fast an dem Wort. Es wurde Zeit, dass ich das hier zu Ende brachte. Ich hielt es keine Sekunde länger mehr aus. »Mach’s gut, Xavier«, flüsterte ich und ging über den Rasen davon.
    Die Tür war mir noch nie so weit weg vorgekommen. Ein Schritt. Zwei Schritte. Drei. Vier. Ich kam bis sechs, bevor Xavier mich von hinten packte und zu sich umdrehte. »Nein!« Er schüttelte mich. »Nein, das nehme ich nicht hin! Was kümmert es uns, was andere für richtig halten oder nicht? Wir sind keine Freaks! Du und ich, das tut niemandem weh! Wie sollte jemand behaupten, dass es falsch ist, was wir tun? Wir sind nicht Bruder und Schwester, wir sind nicht mal altersmäßig auseinander! Es ist nicht deine Schuld, dass du so lange gebraucht hast, um heranzuwachsen!«
    »Doch, ist es«, flüsterte ich.
    »Sei still!«, brüllte er. »Hör auf, dich niederzumachen! Hör auf, dir selbst die Schuld zu geben! Ich hasse diese Blutsauger, mit denen du zusammenleben musst. Ich hasse sie! Sie haben dir jegliches Selbstwertgefühl ausgesaugt, jeden Sinn für Normalität! Du wirst keinen finden außer mir, der dich versteht! Es wird niemanden geben, hörst du mich? Niemanden! «
    Jetzt, da er die Beherrschung verloren hatte, konnte ich das gegen ihn verwenden. Ich hasste mich dafür, aber ich drehte den Spieß um. »Ach, und wer redet mir jetzt ein, dass ich nichts wert bin?«, blaffte ich. »Ich kann tun, was ich will, ich kann erobern, wen ich will. Während du immer noch an der
blinden Schwärmerei eines Zwölfjährigen festhältst. Werd erwachsen! Such dir eine andere! Ich kann an allen zehn Fingern einen wie dich haben!« Ich stieß ihn von mir, und obwohl er stärker war, ließ er mich gehen.
    Ich rannte zur Gartentür, als wären sämtliche Hunde der Hölle hinter mir her. Aber die Höllenhunde war in mir drin, verwüsteten mein Herz und schlugen ihre scharfen Zähne in meine Brust.
    Ich kämpfte mit der Tür, weil ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und in dem kurzen Moment des Innehaltens, bevor ich sie aufbekam, spürte ich Xavier hinter mir. »Warte«, sagte er.
    »Nein.« Ich wusste, ich würde es nicht ertragen.
    Er drehte mich sanft zu sich herum. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen. »Bitte, Rose«, sagte er leise. Er kam ganz nahe, und wir verschmolzen miteinander zu einem letzten Kuss.
    Ich schmeckte seinen Schmerz, die furchtbare Qual, die ihn zerriss. Ich konnte nicht mehr bei mir selbst bleiben. Leere griff um sich, und alles von mir, das irgendeine Bedeutung hatte, floss aus mir heraus, entfloh mir, floh wie aus einem brennenden Haus, in die Zuflucht seines Kusses. Mit einem einzigen dunklen, verzweifelten Kuss nahm Xavier meine Seele in sich auf und gab ihr Geborgenheit. Eine kleine Ewigkeit hing zwischen uns, als er sie wieder loslassen musste. Unsere Nasen berührten sich. Ich spürte noch seinen Atem auf meinen Lippen, als könnte er es nicht ertragen, sich von mir zu lösen. Ich wollte nicht hinsehen, wollte sein Gesicht nicht mehr sehen. »Denk daran, dass ich dich liebe, immer«, war alles, was er sagte.
    So gern hätte ich dasselbe geantwortet, doch die Tür öffnete sich unter meiner Hand, und ich taumelte hindurch, hinein in eine vollkommene Schwärze. Blind vor Tränen tastete
ich mich zu unserer Wohnung zurück. Mom und Daddy waren längst zur Arbeit, und Åsa würde nie mehr wiederkommen. Ich kroch in mein Bett und blieb

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