Während ich schlief
»Hab ich im Krankenhaus gemacht.« Mrs. Sabah mit ihren klaren, harmonischen Zügen war ein leichtes Modell gewesen. Nur ihre verblüffend grünen Augen hatte ich nicht richtig herausbringen können.
»Dürfte ich das kopieren? Es würde ihr wahnsinnig gefallen.«
»Ich schenke es ihr«, sagte ich.
»Im Ernst?«
»Klar. Ist doch nur eine Skizze.«
Erwirkte richtig aufgeregt. »Würdest du sie bitte signieren?«
Stirnrunzelnd zog ich einen Bleistift aus einer Schublade. »Warum?«
Bren lachte. »Weil du bei deinem Talent in null Komma nix eine berühmte Künstlerin sein wirst, und dann ist das hier Moms Gewicht in Gold wert.«
Ich rümpfte die Nase. »Nein, bestimmt nicht. Mr. Guillory braucht mich bei UniCorp.«
Bren zog eine finstere Miene. »Das sagen alle.« Er sah sich wieder die Skizzen an. »So was regt mich auf. Du solltest tun, was du willst.«
»Ich weiß nicht, was ich will«, erwiderte ich, schrieb Rose Fitzroy unter das Porträt von Brens Mutter und betitelte es mit Annie.
»Mensch, du hast ja alle hier. Toff, sieh mal an!« Er zog die Skizze von Mr. Guillory hervor. »Du hast ihn wie einen Troll gezeichnet!«
Ich neigte unschuldig den Kopf zur Seite. »Wer, ich?«
Lachend zog Bren eine weitere Skizze heraus. »Wer ist das? Er kommt mir bekannt vor. Ein Junge aus der Schule?«
»Nein.« Ich wandte mich ab.
Erst da bemerkte Bren die fünf anderen Zeichnungen von Xavier an der Wand. Es gab natürlich noch viel mehr, aber er würde die Kinderbilder wohl kaum mit den Porträts von Xavier als jungem Mann in Verbindung bringen. Ernster geworden, fragte er noch einmal: »Wer ist das?«
Ich wollte Bren nicht von ihm erzählen. Aber irgendwie doch. Ich wollte, dass er mich in die Arme nahm und mich bedauerte, dass er zärtlich meine Stirn küsste, meine Augenlider, und mir versprach, alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich ging zum Zeichentisch und beobachtete die Fische dahinter. »Nur mein alter Freund.«
»Oh«, sagte er und erfüllte meinen Wunsch nur halb, indem er hinzufügte: »Das tut mir leid«.
Ich zuckte mit den Schultern.
Wir schwiegen betreten. Ich spürte seine Wärme hinter mir, die mich zu ihm hinzog.
»Also, äh ... danke für die Skizze. Mom wird begeistert sein.«
»Gern geschehen.«
»Tja, ich seh dich dann morgen in der Schule.«
Als ich mich endlich von den Fischen trennte, war Bren schon zur Tür hinaus.
I n dieser Nacht schlief ich überhaupt nicht. Ich kauerte mich in meinem Zimmer zusammen, eine Hand fest um Zaviers Halsband gelegt, mein Holofon in greifbarer Nähe. Bei jedem kleinsten Geräusch, jedes Mal, wenn Zavier sein Gewicht verlagerte, bei jedem Lichtstrahl von einem vorbeikommenden Gleiter, der über die Wand zuckte, war ich darauf gefasst, gleich wieder überfallen zu werden. Beim Abendessen hatte ich mit dem Gedanken gespielt, Patty und Barry doch noch von dem Angreifer zu erzählen, aber ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden. Sie benahmen sich so gleichgültig mir gegenüber, und es klang so unwahrscheinlich. Ich war keine Idiotin, ich hatte die Sicherheitsprotokolle überprüft, die keinen Einbruch vermeldeten. Den elektronischen Aufzeichnungen nach war es nie passiert. Das ergab keinen Sinn.
Als das erste Tageslicht durch mein Fenster schien, nahm ich mein Holofon. »Büro Dr. Bija«, sagte das Hologramm ihrer Sekretärin.
»Ich würde gern einen Termin machen. Für heute Morgen, wenn es möglich ist.«
Die Sekretärin reagierte kühl und herablassend. »Ist es dringend?«
Ich überlegte. Meine gewöhnliche Reaktion auf solche Fragen war, Nein zu sagen. »Ja«, sagte ich etwas beschämt.
»Sie besuchen diese Schule?«
Ich nickte.
»Ihr Name?«
»Rose Fitzroy.«
»Oh!« Das Verhalten der Frau änderte sich schlagartig, sie senkte den Blick und schielte auf ihren Bildschirm. »Also, vor der Schule kann ich Sie leider nicht einschieben, aber ich könnte Ihnen einen Termin um zehn anbieten, zu Beginn der dritten Stunde. Dr. Bija würde Ihnen dann über das Netz eine Entschuldigung ausstellen.«
»Danke«, hauchte ich.
»Selbstverständlich, Miss Fitzroy.« Sie verschwand, offensichtlich erleichtert, den Anruf beenden zu können.
In Sozialpsychologie schlief ich. In Geschichte blieb ich wach, um Bren zu beobachten, aber zur dritten Stunde war ich froh über einen Grund, Chinesisch versäumen zu dürfen.
Dr. Bija wirkte besorgt, als ich in ihrem Büro erschien. »Gibt es ein Problem, Rose?«, fragte sie. »Meine Sekretärin sagte
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