Während ich schlief
zu schnell dahin. Wir waren schon vor unserem Wohnkomplex, und ich wollte immer noch nicht allein bleiben. »Möchtest du mein Atelier sehen?«, fragte ich. »Es ist nur gerade ziemlich durcheinander. Zavier hat ein paar Sachen über den Haufen geworfen, und ... Na ja, ich muss das aufräumen, bevor Patty und Barry nach Hause kommen.«
»Bist du allein bis dahin?«
»Ja. Abgesehen von Zavy.«
Bren schien zu zögern, dann sagte er: »Okay. Klar komm ich mit.«
Als ich die Tür zum Atelier aufmachte, erwartete ich, es in dem verwüsteten Zustand von heute Morgen anzutreffen. Aber das Hausmädchen hatte einen Schlüssel dafür, und offenbar hatte sie Pattys Strafpredigt nicht mitbekommen und saubergemacht, und zwar sehr viel besser, als ich es gekonnt hätte.
»Toff!«, sagte Bren beim Eintreten und sah sich die Bilder an. Jetzt war ich geradezu froh, dass meine Kreidezeichnung von ihm zerstört worden war. Ich sah die zerknickten, feuchten Überreste aus der Öffnung des Müllschluckers hervorlugen. Wenn er die Zeichnung gestern gesehen hätte, hätte es mir nichts ausgemacht. Ich hätte ihm einfach die Wahrheit gesagt, dass ich alle Leute in meiner Umgebung zeichnete. Es gab sogar Skizzen von Patty und Barry und eine Bleistiftzeichnung von Mr. Guillory. Doch heute, da er neuerdings dieses grässliche Flattern in mir hervorrief, das nach einem Namen verlangte, den ich ihm nicht geben wollte ... heute hätte es mich verlegen gemacht.
Dabei sehnte ich mich danach, ihn zu malen. Ich würde ihn auf einem Hocker in der Ecke platzieren, mit dem Bücherregal als Hintergrund. Oder vielleicht vorm Fenster, besonders, wenn ich ihn dazu überreden könnte, sein Hemd ein wenig aufzuknöpfen. Vielleicht sogar mehr als ein wenig. Es vielleicht sogar ganz auszuziehen und das Sonnenlicht auf seiner Haut spielen zu lassen, damit es die Konturen seiner muskulösen Brust zur Geltung brachte. Ich würde seine Augenfarbe zu dem Laub der Bäume im Hintergrund in Beziehung setzen und ...
Auf einmal merkte ich, dass er mir eine Frage gestellt hatte. Ich schüttelte den Kopf, um die Vision von einem halbnackten Bren in meinem Atelier zu vertreiben. »Was hast du gesagt?«
»Warum bist du in keinem Kunstkurs in der Schule?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich dachte Mr. Guillory, ich bräuchte keinen.« Ich zeigte auf meine Sachen. »Aber das stört mich nicht. Ich habe all das hier.«
Bren ging zu der Wand, an der mein bisher größtes Gemälde trocknete. Es war eine meiner Stase-Landschaften, ein Ölbild von sanft gewellten Hügeln in leuchtenden Farben und blitzdurchzuckten Wolken, die jedoch eher heiter als düster wirkten. Ich nannte es Blaue Dünen.
»Die hast du alle selbst gemalt?«
»Es ist nur ein Hobby.«
Bren warf mir einen Seitenblick zu. »Sie sind gut. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel.« Mit seitlich geneigtem Kopf betrachtete er das Bild eingehend. »Toff, das ist so arktisch«, sagte er verwirrt. »Diese Landschaften haben etwas sehr ... Empfindsames.«
Ich sah ihn an. »Hast du gerade >empfindsam< gesagt?« So ein Wort hatte ich nicht mehr gehört, seit ich aus der Stasis heraus war.
Bren zuckte mit den Schultern. »Meine Großeltern haben uns immer zu irgendwelchen Galerien mitgeschleppt. So habe ich gelernt, Kunst zu beschreiben.«
»Landschaften sind schon immer meine Stärke gewesen«, erzählte ich. »Einmal habe ich sogar einen Preis für eine bekommen.«
»Wirklich?« Er hob eine Augenbraue und löste den Blick nicht von der Leinwand. Nach einer Weile nickte er. »Wundert mich nicht.« Dann sah er sich ein paar der anderen Bilder an. »Wie lange ist das her, sechzig Jahre?«
»Zweiundsechzig. Es war kurz bevor ich in Stasis versetzt wurde.«
»Wie hieß das?«
»Himmelsbauch. «
»Nein, du Sprock, der Preis«, sagte er glucksend.
»Ach so. Der Preis der Jungen Meister. Ich hätte eine vierwöchige Kunstreise durch Europa gewinnen sollen.« Dazu ein Stipendium, das ich vermutlich nicht hätte annehmen können.
»Aber du bist nicht gefahren?«, fragte Bren.
»Nein, ich war ... unpässlich, als es so weit war.« Kurz vor Beginn der Rundreise hatte man mich in Stasis versetzt.
»Ach so. Tut mir leid.«
»Schon gut«, sagte ich. »Ich weiß, das ist wieder seltsam.«
»Nur ein bisschen.« Er blätterte durch ein paar fertige Zeichnungen auf der Ablage. »Ist das meine Mutter?« Er zog eine Bleistiftskizze auf Kopierpapier heraus.
»Ja«, sagte ich und blickte ihm über die Schulter.
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