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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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war seltsam, wieder durch die Hallen des UniCorp-Gebäudes zu gehen. Alles hatte sich verändert, nur UniCorp blieb eine Konstante. Der Firmensitz hatte keinen bedeutsamen Wandel durchgemacht. Bren und ich stiegen in den Aufzug, und er drückte den Knopf für die oberste Etage. Ich fuhr mit den Fingern über die polierte Granitverkleidung der Kabine. Es gab ein paar Macken im Stein, Kerben und Scharten von Umzügen und Bürorenovierungen aus Jahrzehnten, doch sonst sah ich keinen Unterschied zwischen damals und heute. Ich konnte mir vorstellen, wie der Aufzug aufging und mein Vater vor mir stand, mich mit einem knappen Lächeln und einer Sekretärin, die mich im Auge behalten sollte, empfing.
    Stattdessen würde es Brens finsterer Großvater sein. »Mir gefällt das nicht«, sagte ich. »Einen alten Mann mitten in der Nacht zu stören.«
    »Wir stören ihn nicht. Wie gesagt, er ist in seinem Büro. Er wohnt praktisch dort. Er hat sogar ein Apartment direkt gegenüber. Früher hat er mal bei uns im Haus gewohnt, aber er war fast nie da. Als Guillory ihn um die Wohnung bat, hat er sie ihm einfach überlassen.«
    Ich wurde hellhörig. »Guillory hat ihn darum gebeten?«
    »Ja, damit du deine alte Wohnung wiederhaben konntest.«
    »Soll das heißen, ich habe dem Mann sein Heim weggenommen?«
    »Ach was. Du hast ihm eine teure, lästige Fehlinvestition
abgenommen, in die er fast nie einen Fuß gesetzt hat. Schon gar nicht mehr, nachdem Großmama gestorben war, da hatte er gar keinen Grund mehr, nach Hause zu gehen. Der Mann ist der totale Workaholic, außer im Urlaub.«
    »Ist er anders, wenn er nicht arbeitet?«
    »Oh ja, er ist viel netter innerhalb der Familie als bei der Arbeit.«
    »Gut«, sagte ich. »Er macht mir nämlich ein bisschen Angst.«
    »Mir hat er früher auch Angst gemacht«, gestand Bren. »Bis er mich beim Skifahren vor einem schlimmen Sturz bewahrt hat, als ich zehn war. Er hat sich das Bein gebrochen, um zu verhindern, dass ich einen Felshang hinunterfiel. Ich ahnte nichts davon, die Warnschilder, die darauf aufmerksam machten, waren zugeschneit. Hab noch nie jemanden so schnell heranflitzen sehen. Er ist ...« Bren zuckte mit den Achseln, suchte nach den richtigen Worten. »Er ist schroff und mürrisch und wortkarg, aber immer da, wenn man ihn braucht.«
    »Das hoffe ich«, bemerkte ich, »ich brauche nämlich dringend jemanden.«
    Der Aufzug hielt und entließ uns in die atriumartige Vorhalle im obersten Stock des UniCorp-Gebäudes. Meine Mutter hatte das Atrium nach dem Vorbild eines römischen Patrizierhauses gestaltet, komplett mit Säulen und Mosaiken. Ein munterer Brunnen plätscherte in der Mitte, ein kleiner Wasserfall umgeben von importierten tropischen Pflanzen. Die Pflanzen sahen irgendwie anders aus, und ich erkannte, dass einige davon jetzt künstlich waren, ein Niedergang, den meine Mutter niemals geduldet hätte.
    Daddys Büro hatte sich auf der Ebene über dem Atrium befunden, weshalb ich erwartete, dass Bren mich eine der Wendeltreppen hinaufführen würde, doch er ging um den Brunnen
herum zu einem Bereich, der einst den persönlichen Assistenten und Sekretärinnen meines Vaters vorbehalten gewesen war.
    Dieser hatte sich allerdings sehr verändert. Die einzelnen Büros waren zu einem zweiten Atrium mit anderem Pflanzenbewuchs zusammengelegt worden. In dieses Grün blickte man aus einem durch eine Glasfront abgeteilten Warteraum mit einem jetzt verlassenen, einladend wirkenden Empfangstisch. Die kupferbeschlagene Tür dahinter musste in das Büro von Brens Großvater führen. Ohne große Umstände öffnete Bren diesen imposanten Zugang und ließ mir den Vortritt.
    Das Büro des Geschäftsführers war in Erdtönen gehalten, an den Wänden hingen Landschaften. Ich erkannte die Hand wieder, die auch meine Wohnung dekoriert hatte. Der Schreibtisch war aus Holz und ziemlich ausladend, doch es stand nur ein Bildschirm darauf. Das stellte einen krassen Gegensatz zum Schreibtisch meines Vaters dar, der mit seinem halben Dutzend vernetzter Monitore, die ihn über tausend verschiedene Projekte und Geschäftsberichte auf dem Laufenden hielten, eher einer Kommandozentrale geähnelt hatte. Dieser Schreibtisch kündete von einem methodischen Verstand, einem Mann, der nicht alles griffbereit vor sich haben musste, weil er stets wusste, wo etwas zu finden war.
    Ein Ledersessel schwang von dem Screen weg und brachte Brens Großvater zum Vorschein. Mir fiel auf, das ich ihn noch nie richtig klar

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