Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
Wahlkampfhelfer schießen sollte. Das waren journalistische Wünsche, die gerne erfüllt wurden. Orsolics selbst schwänzelte um uns herum.
»Unserer Philosophie der Breite entspricht es, gerade jungen Menschen aus allen Schichten die Chance zu geben, bei uns dabeizusein.«
Und dieser Mann hatte Bellini-Klein und Schmidt umbringen und mich zusammenschlagen lassen?
»Es muss nicht jeder in die Politik gehen, aber es ist gut, von der realen Politik einen Eindruck zu bekommen. Harte Arbeit im Dienst der Allgemeinheit.« Orsolics bettelte darum, in der Story vorzukommen. »Irgendjemand muss schließlich Entscheidungen für das Allgemeinwohl treffen, Gesetze machen und die Verantwortung übernehmen.«
Im Dienst der Allgemeinheit. Ja, sicher.
Ich beobachtete Orsolics, während meine Fotografin Vogl-T-Shirt-Träger und -Trägerinnen rund um einen Papp-Vogl postierte. Alle lächelten und zeigten mit dem Daumen nach oben. Orsolics überlegte sichtlich, ob er sich dazustellen sollte. Er überlegte zu lange. Das Gruppenfoto war im Kasten, und die Fotografin schoss von den jungen Menschen, die in Gruppen, aufgekratzt plaudernd, zu ihren PCs zurückgingen, noch einige Bilder.
Orsolics war schwach. Er hatte eine einflussreiche Position, aber aufgrund seines Auftretens allein hätte ihn niemand für wichtig oder gar für klug oder interessant gehalten. Er war ein gutgekleideter Schwätzer. Ein Politphrasendrescher. Er galt als Präsidentenmacher.
Chloe Fischer hingegen war tüchtig bis zum Erbrechen, zu allem fähig. Keine Dienerin, das sicher nicht. Eine Kämpferin. Ich hegte eine tiefe Abneigung gegen diese immer zu 110 Prozent funktionierende Frau. Immer so gut, wie man es erwarten durfte, und noch um zehn Prozent besser. So machte man Karriere. Orsolics hingegen … Er hatte auch Karriere gemacht. Ohne allerdings dafür so viel zu arbeiten, da war ich mir sicher. Und Vogl? Ewig moduliert lächelnder Kandidat? Ein politisches Gesamtkunstwerk? Und seine Gegner vom Bündnis – ewige Verlierer? Und die Konservativen im Hintergrund, so im Hintergrund, dass ich sie nie zu Gesicht bekam?
Was ich brauchte, waren Beweise.
Ich nahm meine Tasche von einem der Schreibtische, und da sah ich es liegen: mein Feuerzeug, unverkennbar mit der Aufschrift »Feuer und Flamme«. Ich hob es auf, befahl mir, ganz ruhig zu bleiben, und sah auf die Unterseite. M. G. – schwache Spuren eines Kugelschreibers, dennoch lesbar. M. G. waren die Initialen des Mannes, der mir das Feuerzeug damals über den Tisch zugeschoben hatte. In dem russischen Lokal, das wie eine Bahnhofshalle aussah und in dem man genial gutes Essen bekam. »Woher haben Sie das?«, fragte ich die blonde Frau, die am PC arbeitete. Sie starrte ratlos auf das Feuerzeug.
»Das ist heute da aufgetaucht. Die Leute lassen dauernd etwas liegen. Unsere Kugelschreiber sind Wanderpokale, auch die Feuerzeuge, obwohl wir hier nicht rauchen dürfen.«
Ich dachte nach. Ja. Das war der Tisch, an dem die Schläger gestern Abend Licht gemacht hatten. Der eine hatte mit einem Feuerzeug gespielt. Plötzlich wurde mir heiß. Ich durfte die Fingerabdrücke nicht verwischen, du liebe Güte, das war der erste kleine Beweis, und ich hatte das Feuerzeug einfach angegriffen. Ich hielt es mit spitzen Fingern in der Hand. »Ich nehme es, okay?«
Die blonde Frau war irritiert. »Ich weiß aber nicht, wem es gehört.«
Ich packte es, wie ich es in Filmen oft genug gesehen hatte, vorsichtig in ein Kuvert, das ich in meiner Tasche fand. Der erste Beweis. Zumindest für die Schlägerei. Vorausgesetzt, man glaubte mir. Und vielleicht hatte ich auch noch einen zweiten Beweis. In der Früh hatte ich das schmutzige und blutverschmierte Gewand vom Überfall noch in der Wäschetruhe gefunden. Ich hatte die Sachen in einen Papiersack gesteckt und unter mein Bett gelegt.
Bei einem schlechten Mittagessen mit zwei Kolleginnen aus der Lifestyle-Redaktion ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. Ich musste herausfinden, ob am Feuerzeug die Fingerabdrücke des Schlägers waren. Aber ich durfte nicht zur Polizei gehen. Wer kümmerte sich sonst noch um Fingerabdrücke? Und dann fiel mir ein, was wir vergessen hatten. Die Computerdateien. Bellini-Klein hatte in der Wahlkampfzentrale die meiste Zeit am Computer verbracht, und das war mit ein Grund gewesen, warum er hatte gehen müssen. Auch Schmidt hatte sich in alles eingemischt und alles wissen wollen. Wer weiß, welche Geheimnisse der Computer barg.
Aber für die
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