Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
hatte sich Wörthmüller wohl nicht für befangen erklärt. Warum kam man erst im späteren Wiederaufnahmeverfahren auf die Idee, Worthmüller selbst dazu zu befragen?
Leipziger schrieb sodann: »Als weiteren Bereich eines paranoiden Systems des Angeklagten ist dessen krankhaft überzogene Sorge um seine Gesundheit, die Ablehnung der meisten Körperpflegemittel, von Nahrungsmitteln aus nicht biologisch-dynamischem Anbau … zu werten.« Endlich werden die Menschen, die in Reformhäusern und Bioläden einkaufen, darüber aufgeklärt, dass sie an Paranoia leiden. Leipziger verdrehte völlig normales Verhalten in ein pathologisches.
Diese Methode wiederholte er. Mollath habe gesagt, er höre eine innere Stimme, die ihm sage, er sei ein ordentlicher Kerl, er spüre hinsichtlich der Schwarzgeldverschiebungen sein Gewissen, die Gewissensfreiheit sei im Grundgesetz verankert. Dazu Leipziger: »Es muss dabei durchaus als möglich angesehen werden, dass der Angeklagte unter Halluzinationen leidet und er sein Tun und Handeln kommentierende Stimmen hört, ohne dass diese Annahme konkret belegt werden könnte.« Das Hören auf die Stimme des Gewissens münzte Leipziger um in ein mögliches paranoides »Hören von Stimmen«.
Er untermauerte seine Diagnose weiter: »Sicher pathologisch zu werten sind die massiven Auffälligkeiten in der Affektivität, der Ich-Bezogenheit und der extremen gedanklichen Rigidität des Angeklagten.« Beweise hierfür ersparte er sich freilich. Trifft außerdem Ich-Bezogenheit nicht auf alle Menschen zu? Sogar auf Leipziger selbst? Bizarr sein Zitat aus einer sogenannten Dokumentation seiner Klinik über Mollath: »Die Ich-Grenzen wirken verschwommen.« Was sollte das denn sein?
Gewissenhaft stellte Leipziger schließlich fest, dass als Diagnose neben Paranoia auch Schizophrenie oder eine schwere seelische Abartigkeit in Betracht komme. Man erstarrt vor Erstaunen darüber, welcher Krankheitsbefund Strafanzeigen über Schwarzgeldverschiebungen beizumessen ist.
Der Facharzt Leipziger gelangte schließlich zu dem Ergebnis, dass Mollath gefährlich sei, von ihm seien weitere Straftaten zu befürchten. Er müsse deshalb zwingend in der Psychiatrie untergebracht und behandelt werden.
Die wissenschaftlich fragwürdige Machart dieses Gutachtens war nicht nur für Fachärzte, sondern auch für jeden Richter und Staatsanwalt schon von Weitem erkennbar. Selbst ein Laie konnte mühelos nachvollziehen, dass die Diagnose auf absurden Begründungen aufgebaut war. Doch das Gutachten war das vorweggenommene Verdikt, das den auf Steuergesetze und Steuermoral pochenden Frömmler Gustl Mollath in die Psychiatrie bringen sollte.
Der Weg in die Psychiatrie
Zunehmend aufgeregt reagierend, hatte Mollath zuvor versucht, das Verhängnis durch weitere Strafanzeigen und Petitionen abzuwenden. Mit einer Strafanzeige vom 5 . August 2004 hatte er sich an Hasso Nerlich, den Präsidenten des Amtsgerichts, gewandt, mit einer weiteren vom 23 . September 2004 nochmals an diesen. Mit einer Strafanzeige vom 27 . Oktober 2004 an den Generalstaatsanwalt Heinz Stöckel und den Leitenden Oberstaatsanwalt Klaus Hubmann, er wurde keiner Antwort gewürdigt. In seiner Verzweiflung wandte er sich mit einer Eingabe vom 7 . Februar 2004 an Innenminister Günther Beckstein.
Beckstein nahm sich der Sache nicht an, sondern reichte die Eingabe weiter an das Justizministerium. Dort war sie in guten Händen, denn Justizministerin Beate Merk war früher, als Beckstein noch Staatssekretär war, seine persönliche Referentin gewesen.
Der Bescheid, den Mollath vom Justizministerium erhielt, während er in Bayreuth inhaftiert war, kam einer Verhöhnung gleich. Ein Ministerialrat namens Dr. Herbert Veh teilte ihm mit, für Strafanzeigen seien Staatsanwaltschaft und Polizei zuständig. »Es bleibt Ihnen unbenommen, sich unmittelbar an eine der genannten Stellen zu wenden«, belehrte er ihn. Die Zurückverweisung an die Staatsanwaltschaft, obwohl sich die Beschwerde gerade gegen diese richtete, war perfide. Das Justizministerium verletzte dadurch sowohl seine Aufsichtspflicht als auch das Petitionsrecht Mollaths.
Ein Querverweis ist angebracht. Der besagte Ministerialrat war bereits einige Jahre zuvor durch erstaunliches, vermutlich sogar rechtswidriges Handeln in Erscheinung getreten. Es ging damals um das gegen den CSU -Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Erich Riedl, eingeleitete Strafverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit.
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