Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
zum Millionär und will auch nicht all mein Geld an die Regierung abführen. Das ist in Gesellschaften anders, die nicht diesen Glauben kultivieren, die Erwartung, dass jeder reich werden kann. Die sind viel schneller an dem Punkt zu sagen, okay, lasst uns die Reichen höher besteuern als die anderen.«
Bishop stimmt der Klage zu, dass Washingtons Politiker weniger verbinde als früher. Das habe ganz profane Gründe. »Früher verbrachten sie nur die Wochenenden in Washington und waren die Woche über in ihrem Bundesstaat mitten im Leben, bei Bürgern und Wählern, sie respektierten einander, auch in schwierigen Zeiten. Heute verbringen sie allenfalls die Wochenenden in der realen Welt, und der Respekt ist verflogen. Dass auch die Fernsehsender, die über Politik berichten, parteiischer geworden sind, legt die Abgeordneten in ihrer Wahrnehmung noch mehr auf die Parteilinie fest. All das erschwert Kompromisse.«
Auch er hält den Schaden durch die Tea Party für größer als ihre Verdienste. »Sie wollen das Staatsdefizit senken, so schnell wie möglich, um die Kluft zwischen der Einnahmen- und Ausgabenseite zu verkleinern, und zwar ausschließlich durch Kürzen von Ausgaben. Es ist ein bisschen wie zu Zeiten der Inquisition. Sie drohen den alteingesessenen Politikern in Washington, die bisher Deals erzielten, sie als prinzipienlos und ohne Rückgrat darzustellen. Das ist möglich, weil die Tea Party eng mit Fox News verbunden ist, den konservative Wähler bevorzugen und der deshalb Tea-Party-Kandidaten so durch die Vorwahlen helfen kann. Konservative, die einmal mit Obama Kompromisse machten, müssen stets Sorge haben, Ziel einer Medienkampagne zu werden und, wie Mike Castle, ihr Mandat zu verlieren.«
Es habe selten eine so mächtige Randgruppe in Amerika gegeben, sagt Bishop. Zwar hätten schon immer Hardliner die Wählbarkeit von Kandidaten an ihre Haltung etwa zu Abtreibungen geknüpft. Oder linke Gewerkschafter hätten für Demokraten Prüfsteine aufgestellt. Dennoch sei es ungewöhnlich, ein Kernthema wie Steuern derart von einer radikalen Minderheit besetzt zu sehen.
Auch ihn fragen wir am Ende, welche Optionen er nun für Obama sieht.
»Es scheint, als würde er ins alte Lager zurückkehren und sagen, alles hänge von einer Reichensteuer ab«, antwortet er, »von einer gerechten Lastenverteilung in der Krise, um so die Tea Party als halsstarrige Blockierer erscheinen zu lassen, die das Land lieber in Trümmern sähen. Das könnte sogar funktionieren.« Er glaube zwar, dass die große Mehrheit der Amerikaner nichts wolle, was nach Klassenkampf klinge. »Vieles hängt aber davon ab«, sagt er, »mit welcher Strategie die Republikaner antreten. Denn deren Glaubwürdigkeit ist ein viel größeres Problem.«
Geist aus der Flasche
»John Boehners Lage ist schwieriger als die wohl aller seiner Vorgänger der letzten 100 Jahre«, glaubt der Letzte in unserer Expertenreihe – der konservative Blogger Stan Collender, ein ausgewiesener Kenner der Finanzwelt zwischen Washington und Wall Street. »Der Streit um die Seele der Partei dauert zwar schon Jahre, doch nun entfacht er sich an der Haushaltsdebatte neu, weil für die Tea Party da jedes Nachgeben als Sündenfall gilt. Boehners Problem ist, dass die Tea Party auch die eigene Parteiführung bekämpft.«
Wenn dieser mit Obama eine Einigung erziele, gelte das für die Parteirechte als Kollaboration mit dem Feind. Die Frage sei, ob sich auch Boehner auf die Seite der rechten Aktivisten schlage, zumal sie rührige Anhänger und spendable Unterstützer hätten. Oder ob er sich entscheide, lieber politische Ergebnisse zu erzielen, was seine Rolle als Parlamentschef eigentlich verlange.
»Was viele von uns frustriert zu sehen«, sagt Collender, »ist, wie diese Abgeordneten ihr Mandat überbewerten. Wenn man die Umfragen betrachtet, unterstützen nicht einmal die Tea-Party-Anhänger die radikalen Kürzungen, die ihre Parlamentarier verlangen. Doch viele Abgeordnete würden sogar den Kollaps der US-Wirtschaft einer Erhöhung des Schuldenlimits vorziehen. Als ich ihnen zuletzt als Referent erklärte, dass wir ohne Limiterhöhung noch in diesem Jahr anderthalb Billionen Dollar einsparen müssten, also fast ein Drittel des Haushalts, und dass das die Wirtschaft mit Sicherheit in eine neue Rezession stürzen würde, schauten die mich nur kurz an und sagten, dann nähmen sie eben eine Rezession in Kauf.«
Eine Wortführerin sei Michele Bachmann, die auch als
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