Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
sie vorerst unter Verschluss halten. Die Abwehrposition hält keine Woche lang. Dann erfährt Amerikas Öffentlichkeit, dass Romneys Investoren-Steuersatz im Jahr 2010 sogar unter 14 Prozent gelegen hat – bei über 20 Millionen Dollar Jahreseinkommen.
»Die Republikanische Partei dämonisiert niemanden, nur weil er erfolgreich ist«, versucht er seine Anhänger zu beruhigen. »Wenn meine Gegner mich deswegen angreifen, greifen sie jeden an, der von einem besseren Leben träumt. Das heißt, sie greifen euch mit an.«
In der Tat ist die Kritik, zumal von rechts, grotesk. Romneys Niedrigststeuersatz entspricht amerikanischen Gesetzen, die Kapitalerträge nur halb so hoch belasten wie sonstiges Einkommen. Im Gegensatz zu Obama, der die wachsende soziale Ungerechtigkeit im Land klar zum Wahlkampfthema macht, lehnen die Republikaner jede Mehrbelastung Wohlhabender ab.
Gingrich habe hier eine Schlacht gewonnen, berichte ich in der Nacht, nicht aber den Krieg, zu dem gerade er die Vorwahlen gemacht habe. Seine Gegner hofften nun, dass er im Erfolgsrausch Fehler mache, denn auch dafür sei Gingrich bislang bekannt gewesen.
Es dauert keine Woche, dann ist es so weit. In der nächsten Fernsehrunde will Gingrich die Wähler in Florida mit kühnen Weltraumplänen zu sich locken. Den Bau einer Kolonie auf dem Mond dürfe man nicht Russen und Chinesen überlassen, sagt er und hofft, das mache auf jene Eindruck, deren Job an Aufträgen der Raumfahrtindustrie hängt. Romney reagiert dankbar auf die Vorlage: »Wenn mir als Firmenchef jemand in der jetzigen Lage so einen Vorschlag machte«, grinst er und weiß die Mehrheit hinter sich, »ich würde ihn feuern.«
Auch der Gastgebersender CNN ist dieses Mal besser vorbereitet. Als Gingrich seine öffentliche Kritik an Romneys Steuergebaren erläutern soll, versucht er zwar erneut, den Moderator für die »unsinnige« Frage abzukanzeln. Doch Profi Wolf Blitzer insistiert gelassen, bis der übergroße, hochfliegende Gingrich, auf Normalmaß gestutzt, wieder auf dem Boden landet. Als Romney die Vorwahl klar gewinnt, patzt Gingrich erneut – denn er weigert sich, Romney zu gratulieren. Damit hat er die Palin’sche Regel von Hass und Heiterkeit missachtet. Vielen gilt er fortan als griesgrämig und verbittert.
Die Tiraden der Wahlkämpfer gegen Europas angeblichen Sozialismus sind später unser Kommentarthema. »Das ist kein Wahlprogramm«, merke ich an, »das ist Verblödung.« Mein Korrespondenten-Kollege Martin Klingst, der für die Zeit berichtet, reagiert ähnlich. In einem Meinungsbeitrag für die Washington Post schreibt er, die Kandidaten der Konservativen sollten wissen, dass die Erde keine Scheibe sei.
»Wir kehren nicht um«
Als der Präsident wenige Tage später den Kongress betritt, um seine dritte Rede zur Lage der Nation zu halten, wartet im dicht gedrängten Saal eine zierliche Frau im roten Kostüm auf ihn. Auf dem Weg zum Rednerpult verharrt er bei ihr, wechselt ein paar Worte und umarmt sie. Es ist seine Parteifreundin Gabrielle Giffords aus Arizona, die ein Attentäter ein Jahr zuvor mit einem Kopfschuss fast getötet hat. Sie wird am nächsten Tag ihr Mandat niederlegen, da sie noch immer kaum sprechen kann. »Ich habe nie den Charakter derer angezweifelt, mit denen ich nicht einer Meinung war«, schreibt sie als Abschiedsgrußwort auf. »Ich werde genesen und zurückkommen, dann arbeiten wir zusammen.« Es wird einer der bewegendsten Momente in der Geschichte des Kongresses, der ihr zuliebe einmal all seine Grabenkriege vergisst. Nicht nur Parlamentschef Boehner wischt sich Tränen ab. Selbst der unterkühlte Eric Cantor spricht von der Würde, Hingabe und Inspiration, die Giffords verkörpere.
In seiner Rede, die alle großen Networks übertragen, beschreibt der Präsident weitere Anlässe, die im zurückliegenden Jahr Parteigrenzen vergessen ließen.
Der Irak-Krieg sei beendet, beginnt er seine Bilanz und bedankt sich bei den Soldaten, für deren Mission es egal gewesen sei, welcher Partei oder Religion sie naheständen. Wichtig sei allein gewesen, dass sie einander vertraut hätten. »Stellt euch vor, was wir erreichen könnten«, mahnt er die Abgeordneten, »folgten wir ihrem Beispiel.«
Zum ersten Mal sei Osama bin Laden keine Bedrohung mehr, hält er fest. Auch dies sei ein Erfolg gewesen, den Differenzen nie behindert hätten. »Im Lagezentrum saß ich Schulter an Schulter mit meinem Verteidigungsminister Robert Gates, der den Republikanern
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