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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Dame trug ein weißes, duftiges Musselinkleid französischer Machart. Ihre Robe wurde nur durch einen Gürtel unterhalb des Busens zusammengehalten und gestattete so bei jeder Bewegung neue Spekulationen über ihre offensichtlich vollkommenen Formen. Ihr silberblondes, schimmerndes Haar trug sie kurzgeschnitten und in wirre, wie zufällig erscheinende Locken gelegt. Alles, was Byron sonst noch auf diese Entfernung erkennen konnte, war eine durchscheinende Haut, mindestens so hell wie seine eigene.
     
    Er machte sich von seinen Verehrerinnen frei und ging auf die gleichgültige Schönheit zu, um ihre Bekanntschaft zu machen.
    Sich der Wirkung seiner sonoren Stimme bewußt, sagte er nur leichthin: »Mylady?«
    Sie musterte ihn lange von oben bis unten, wobei er Gelegenheit hatte, ihre himmelblauen Augen, die aparten, elfenhaften Gesichtszüge zu studieren und Einzelheiten ihrer Kleidung in sich aufzunehmen. Ihr Gewand war mit silbrigen Sternenblumen bestickt, deren Anordnung ihre Entsprechung in den Brillanten auf ihrem Gürtel fand. Als das Schweigen zwischen ihnen schon fast unbehaglich wurde, drehte sich die Dame auf dem Absatz um und ging.
    Natürlich mußte er erfahren, wer sie war. Seine Phantasie half ihm, die Erscheinung in eine wortreiche Beschreibung zu fassen. »Oh, Lady Caroline Lamb«, sagte Lady Holland, kaum daß er seine Frage angedeutet hatte. Caroline. Bei der nächsten Abendgesellschaft, die er besuchte, hielt er nach ihr Ausschau.
    Sie stand sehr dekorativ an eine Balustrade gelehnt, anscheinend in ein Gespräch mit Walter Scott vertieft. Byron überlegte, ob er sich diesmal von seiner Gastgeberin - es handelte sich um Lady Jersey - vorstellen lassen sollte, wurde aber dann von Scott angerufen. »Ah, Byron.« Der schottische Schriftsteller winkte ihn zu sich. »Ich bin sicher, Sie wollen bestimmt eine der schönsten Frauen Londons kennenlernen - Lady Caroline Lamb.«
    Lady Caroline nickte flüchtig. Sie trug wieder Musselin, allerdings in einem zart violetten Ton. Ihr tief dekolletiertes Kleid wurde über den Schultern von zwei auffallend schönen Spangen festgehalten, die sogar Beau Brummels Billigung gefunden hätten. Byron musterte sie lange und unverhohlen, genauso wie sie ihn das letzte Mal angesehen hatte. Langsam färbten sich ihre Wangen scharlachrot.
    Endlich sagte er: »Ich bin entzückt. Darf ich fragen, warum Sie meine Bekanntschaft bei den Hollands ausgeschlagen haben, Lady Caroline?«
    »Sie schienen mir überreichlich beschäftigt«, erwiderte sie kühl. Aber er war sich inzwischen sicher, daß Feuer unter dem Eis verborgen war. Der feinfühlige Walter Scott hütete sich, ein Wort zu sagen. »Nun, ich hoffe, heute sind Sie einem Gespräch etwas weniger abgeneigt.«
    Byron fand, sie glich einer Puppe aus gläsernem Marmor und wurde in seinen Überlegungen über die Albernheit dieses Vergleichs unterbrochen, als sie plötzlich fragte: »Wollen Sie mit mir tanzen, Lord Byron?« Nun war es an ihm, kühl zu sein.
    »Ich dachte, Sie hätten es bemerkt«, antwortete er eisig. »Mein rechter Fuß ist lahm.« Er erlebte zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, wie ihre gläserne Haut errötete. »Oh, das tut mir leid«, sagte sie bestürzt »Verzeihen Sie.« Etwas zögernd setzte sie hinzu: »Ich würde gern mit Ihnen in den Garten gehen.« Er bot ihr seinen Arm an, und gemeinsam verließen sie den überraschten Walter Scott und die sofort tuschelnde und wispernde Gesellschaft.
    Die Nacht war kühl, und er zitterte fast ein wenig, als er Carolines Stimme aus der Dunkelheit hörte. »Wissen Sie, Lord Byron, daß ich nach unserer ersten Begegnung über Sie in mein Tagebuch geschrieben habe: Verrückt, schlimm und gefährlich zu kennen?« Er mußte lächeln. Genau diese Art von Kommentar hatte er von ihr erwartet. »Und jetzt?« fragte er. »Was werden Sie jetzt in Ihr Tagebuch schreiben, Lady Caroline?« Ihre Stimme klang dünn, als sie antwortete: »Jenes schöne, bleiche Gesicht ist mein Schicksal.« Und er spürte ihre Lippen.
    Caroline Lamb war die erste Frau von gesellschaftlichem Rang, die Byrons Geliebte wurde, und das machte sicher anfangs einen Teil ihrer Faszination für ihn aus. Daneben bewunderte er ihre kapriziöse Art, ihre Angewohnheit, innerhalb von Sekunden von einem Gefühlsextrem in das andere zu wechseln. Sie hatte tatsächlich etwas von einer Elfe an sich. Als sie ihm zum erstenmal schrieb, machte er eine merkwürdige Entdeckung.
    Er besaß ein sehr gutes Gedächtnis und war

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