Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
sich zusammen und unterhielt sich eine Weile mit ihm über gemeinsame Bekannte, nostalgische Erinnerungen an Griechenland und das literarische Leben im allgemeinen. Dabei kam das Gespräch auch auf den irischen Dichter Thomas Moore. »Es gibt nichts, was Moore nicht tun könnte, wenn er es nur ernsthaft anpackte. Er hat eigentlich nur einen Fehler - er ist nicht hier.« Hobhouse räusperte sich. »Als du ihn kennengelernt hast, war er dafür nur allzu gegenwärtig.«
     
    Beide lachten. Moore hatte damals Byron fast zum Duell gefordert, wegen ein paar suspekter Zeilen in ›Englische Barden und Schottische Rezensenten‹ die sich auf ihn bezogen und sein irisches Temperament entflammt hatten. Statt sich jedoch zu duellieren, hatten sich beide Dichter entschlossen, die Londoner Nachtlokale heimzusuchen, und waren anschließend die besten Freunde geworden. »Gut, er ist ein netter Kerl«, sagte Hobhouse jetzt, »aber ich kann nicht vergessen, was er aus meinen
    ›Vermischten Schriften‹ machte.« Dieser von ihm zusammengestellten Lyrikanthologie hatte Hobhouse ein paar eigene Gedichte beigefügt. Daraufhin taufte Thomas Moore den kleinen Band ›Vermieste Schriften‹.
    »Aber Hobby, du mußt doch zugeben, daß der Titel so etwas geradezu herausgefordert hat.«
    »Du hast gut reden«, knurrte Hobhouse, »an dich traut sich ja kein lausiger Rezensent mehr heran - Shakespeare!«
    Ihre Unterhaltung wandte sich der Politik zu. »Glaubst du nicht, daß wir irgendwann einmal keine Probleme mehr mit den Iren haben werden?« fragte Hobhouse. »Sicher«, erwiderte Byron spöttisch, »wenn wir uns vollkommen mit ihnen vereinigt haben. Wie der Hai mit seiner Beute.« Hobhouse seufzte. »Langsam verstehe ich, warum du Schwierigkeiten im Oberhaus hast.« Byron verzog das Gesicht. »Laß das Oberhaus, Hobby.
    Als ich zum erstenmal dort war, dachte ich, ich könnte mit meinem Sitz doch tatsächlich etwas bewirken. Aber alles, was von einem erwartet wird, ist, während der Reden der Parteiführer nicht einzuschlafen.«
    »Byron«, ermahnte Hobhouse, »du übertreibst. Ich hoffe doch sehr, daß du das Zeug nicht veröffentlichen willst, was du mir neulich geschickt hast.« Er zitierte gedehnt:
     
    Es heißt - Gleichgültigkeit sei dieser Zeiten Wesen
    Dann hört den Grund –
    im Reime müßt ihr’s lesen –
    Ein König, der nicht kann –
    ein Kronprinz, der’s nicht tut
    Ein Volk, das nie begann –
    ein Ministerrat, der ruht -
    Was macht’s da, wer im Amt ist oder nicht
    Ob Irre-Wirre-Nichtsnutz - oder Bösewicht?
     
    Byron schüttelte den Kopf. »Nein, Doug, das war nicht zur Veröffentlichung gedacht. Wenn…«
    »Byron«, unterbrach Hobhouse betont langsam, »wenn ich Douglas Kinnaird wirklich so ähnlich geworden sein sollte, werde ich mich nach einer ständigen Maske umsehen müssen.«
    »Entschuldige.«
    Als Hobhouse in dieser Nacht, sichtlich verwirrt, nach Hause ging, machte er noch einmal bei Fletcher halt. »Also, Fletcher, was ist los? Wer ist es - Lamb, Oxford, Jersey oder wer?« Fletcher hatte schon immer eine geheime Antipathie gegen Hobhouse gehabt. »Es steht mir nicht zu, mich über die Angelegenheiten meines Herren zu verbreiten«, antwortete er würdevoll.
     
    Byron grübelte inzwischen in seinem Arbeitszimmer. Er war nicht darauf gefaßt gewesen, daß man ihm seinen Zustand so deutlich ansah. Das Besondere an seiner und Augustas Situation, bisher von ihm zurückgedrängt, schob sich immer öfter störend in sein Bewußtsein. Die strenge, schottisch-calvinistische Erziehung aus Aberdeen kämpfte mit seiner eigenen Verachtung aller Autoritäten, insbesondere der kirchlichen. Natürlich glaubte er nicht an das Gerede von Sünde und Strafe - wenn nur ein Teil davon stimmte, war er ohnehin verdammt, und wenn nicht, würde er es nach seinem Tod noch früh genug herausfinden.
    »Ich glaube an keine Offenbarungsreligion, weil keine Religion offenbart ist; und wenn es der Kirche gefällt, mich zu verdammen, weil ich das Nichtseiende nicht anerkenne«, hatte er an einen Freund aus Cambridge geschrieben, »werfe ich mich auf die Gnade des ›Unverstandenen Urgrunds allen Seins‹, der das tun muß, was das Richtigste ist; obgleich ich meine, daß Er niemals etwas geschaffen hätte, um es in einem anderen Leben foltern zu lassen… Was Ihre Unsterblichkeit angeht, wenn die Menschen leben sollen, warum dann sterben? Und unsere Leichname, die wieder auferstehen sollen, sind sie das Auferstehen wert? Ich hoffe, falls

Weitere Kostenlose Bücher