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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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mogelst!«
    »Was tust du dann?« fragte Georgiana und kicherte, denn dieses Frage- und Antwortritual war ihr längst vertraut. »Ich kitzele dich, bis die Sonne im Westen aufgeht und alle Katzen Hunde lieben! So, und nun mach schon!«
    Georgiana hielt vorsichtshalber den Arm ihrer kleinen Schwester fest, stellte sich in Positur und rief: »Neun, zehn, hundertelf!« Diese Zahlen hatte sie sich gemerkt, um Mamée bei ihrer Rückkehr damit zu beeindrucken. Aber Mamée fand gar keine Zeit, beeindruckt zu sein, sie rannte gleich los, und die kleine Augusta hinterdrein. Georgiana ließ ihre Beine über den Sand des Vorplatzes fliegen, spürte, wie ihr Herz hämmerte, und erlebte einen Augenblick höchsten Triumphes, als sie Mamée in ihrem dunklen Kleid einholte. Mamée machte es einem niemals leicht, und deswegen war es so wundervoll, sie zu besiegen.
    Georgianas heiße Hände ergriffen das Gatter, und ihre Stimme überschlug sich, als sie glücklich schrie: »Gewonnen!« Mittlerweile waren Mamée und die kleine Augusta auch angekommen. Mamée kniff Georgiana leicht in die Wangen und lehnte sich gegen das Gatter. »Du kleiner Fratz, du wirst wirklich immer besser. Aber das nächste Mal gewinnt vielleicht Augusta.
    Was meinst du, Schatz, schlägst du sie?« Augusta Charlotte antwortete nichts, sondern wiegte nur ihren Kopf hin und her.
    »Sie ist dumm«, sagte Georgiana verächtlich, »sie kann noch nicht einmal richtig sprechen. Dauert das bei Henry auch so lange?«
    Ihre Mutter schwieg. Augusta Charlotte machte ihr Sorgen. Sie war nun bald drei Jahre alt und sollte schon längst sprechen können aber die Kleine, drückte ihren Willen immer nur durch schrille, vogelartige Schreie und kleine Wortfetzen aus. Merkwürdig: ansonsten entwickelte sie sich viel schneller als ihre ältere Schwester, war schon fast genauso groß wie diese. Ihre zarten Gesichtszüge machten sie zum hübschesten von Augustas Kindern, sie wirkte so ungeheuer zerbrechlich.
    Ganz anders der kleine einjährige Henry, der hauptsächlich durch sein rotes Haar und eine äußerst kräftige Nase auffiel. Er war ein liebes, wenn auch anstrengendes Kind, das schon einige Worte aufgeschnappt hatte und ansonsten versuchte, sich durch gurgelnde, glucksende Laute oder notfalls mit Geschrei verständlich zu machen. »Mamée«, sagte Georgiana wieder, »ich habe dich so sehr vermißt.«
    In diesem Moment wußte Augusta, daß sie nicht mit Byron das Land verlassen konnte.
     
    Für Byron war die Zeit nach Augustas Abreise so öde und langweilig wie nur irgend etwas in seinem Leben. Er versuchte sich durch seine Korrespondenz mit Lady Melbourne, die auf seine Nachricht, er wolle mit seiner Schwester eine Reise nach Italien oder Griechenland machen, merkwürdig unwillig reagiert hatte, oder Annabella Milbanke abzulenken. Die Prinzessin der Parallelogramme war entschieden sehr gebildet, konnte es aber nicht lassen, ihm zu predigen:
    »Ich habe das Recht auf ein ständiges und überlegtes Bemühen um Ihr Glück… Leiden Sie nicht länger darunter, der Sklave des Augenblicks zu sein, und vertrauen Sie Ihre edlen Impulse nicht den Veränderungen des Lebens an… Tun Sie Gutes…
    Fühlen Sie Wohlwollen, und Sie werden es hervorrufen… unvollkommen wie meine Übung darin ist, habe ich doch das Glück genossen, Frieden zu stiften & Tugend bei Gelegenheiten hervorzurufen, die nur diese ständige Richtung meiner Gedanken erahnen konnte.«
    Er konnte einfach nicht anders, als ihr darauf zu antworten:
    »Das große Ziel des Lebens ist das Empfinden - zu spüren, daß wir existieren - wenn auch unter Schmerzen - es ist diese ›sehnsuchtsvolle Leere‹, die uns antreibt…«
    Sie schien schockiert zu sein, schrieb aber unverdrossen weiter.
    Eigentlich wurde er nicht recht aus Annabella klug, wie er Lady Melbourne anvertraute:
    »Die Episteln Ihrer Mathematikerin… dauern an - & die letzte schließt mit der Wiederholung des Wunsches, daß niemand außer Papa & Mama davon wissen dürfe & da ist nun nicht mehr zu helfen - doch - bedenken Sie - da ist die strikteste von St.
    Ursulas 11.000, wie nennt man sie? - klug - sittsam - & fromm - und läßt sich auf einen heimlichen Briefwechsel mit einer Person ein, die allgemein für ein großer Roué gehalten wird - & bezieht ihre betagten Eltern in diese geheimen Verhandlungen mit ein - es ist, wie ich glaube, bei alleinstehenden Damen nicht üblich, solch brillante Abenteuer zu wagen - aber das kommt von der Unfehlbarkeit - nicht,

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