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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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einem Spaziergang mit den Kindern bereit, um die überbeanspruchte Nanny zu entlasten. »Er kann doch schon laufen, oder?« fragte Byron mit einem Blick auf Henry. Die Nanny errötete. »Selbstverständlich, Euer Lordschaft.« Bei dem Spaziergang fiel ihm ein, daß er noch gar nicht wußte, wie seine Schwester ihr Neugeborenes zu nennen gedachte. Er fragte Georgiana, und diese, stolz darauf, zwei so schwierige Worte korrekt aussprechen zu können, erwiderte:
    »Elizabeth Medora.«
    Medora. Me adora.
    »Du bist doch ein echter Lord, oder?« unterbrach Georgiana seine Gedanken. »Wir sind mit so vielen Lords und Ladies verwandt, und sie kommen immer, wenn Mamée ein neues Kind geboren hat. Bei Henrys Taufe waren sie auch alle da.« Sie krauste die Nase. »Zuerst habe ich geglaubt, Mamée hätte nur zwei Brüder, obwohl ich die auch nicht richtig kenne. Einer ist ein Herzog.« Sie warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.
    »Du bist nur ein Lord.«
    »Das tut mir leid«, antwortete Byron und bemühte sich, ein angemessen bekümmertes Gesicht zu machen. Georgiana versetzte ihrer Schwester, die sich an ihrem Rock festklammerte, einen kleinen Rippenstoß, und fuhr überlegen fort. »Mach dir nichts daraus - Papa ist nur ein Mister oder ein Colonel, immer abwechselnd. Ich habe Mamée gefragt, was an dir so Besonderes ist. Weil du doch der Taufpate von«, diesmal stolperte sie etwas über den Namen, »Lizabeth Medora sein sollst. Mamée sagte, du wärst ihr verrückter Bruder.« Sie blickte ihn schräg von der Seite an. »Bist du verrückt?« -
    »Vollkommen«, erwiderte er.
    Die Taufe am zwanzigsten April, nur fünf Tage nach der Geburt des Babys, wurde eine mittlere Katastrophe für Byron. Er kam zunächst neben Lady Chichester zu stehen. Beide Teile bemühten sich krampfhaft, sich nicht anzusehen. Dann nahm er seinen Platz als Taufpate neben der Gräfin Rutland ein, die als ehemalige Lady Elizabeth Howard ebenfalls einigen Grund hatte, ihm zu grollen, und ihn das auch spüren ließ. Bei der anschließenden Feier waren zusätzlich einige Provinzler von den umliegenden Gütern eingeladen, die ihn anstarrten wie ein seltenes Insekt. Siehe da, der berühmte Lord Byron!
    Als Augustas ältester Bruder, der Herzog von Leeds, ihn schließlich mit einer chevaleresken Geste fragte: »Na, alter Junge, wie finden Sie unseren grandiosen Sieg über Boney?«
    antwortete Byron wütend: »Entsetzlich!« Der Herzog wich zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gestoßen. »Wie bitte?«
    »Ich finde ihn katastrophal. Ich habe Napoleon« - absichtlich sagte er nicht Bonaparte »immer bewundert und es nie für möglich gehalten, daß er abdanken könnte. Er ist für mich der erste der drei bedeutendsten Männer Europas.«
    Spöttisch blickte er den Herzog an. »Falls Sie wissen wollen, wer die anderen beiden sind - Beau Brummel und ich. Sie widersprechen doch nicht?« Der Herzog wirkte einigermaßen fassungslos, holte ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber Sie… Sie müssen doch zugeben, daß die freien Völker Europas jetzt…«
    »Die freien Völker Europas«, unterbrach ihn Byron verächtlich, »bekommen jetzt statt eines großen Tyrannen ihre vielen kleinen zurück. Glauben Sie etwa, daß sich für den Durchschnittsbürger etwas ändert? Er wird seine Steuern nicht mehr in Napoléondors bezahlen müssen, das ist alles. Ausgebeutet wird er trotzdem - nur eben nicht mehr von einem Genie, sondern von den vielen Storcuptea Königshäusern des Ancien Régime, die weiter auf ihren Krücken gehen können, die die Engländer ihnen so freundlich zusammengeflickt haben!«
    »Ich finde nicht«, sagte der Herzog und holte tief Luft, »daß Ihre Ansichten einem Mitglied des englischen Adels entsprechen!«
    »Ich auch nicht.«
     
    Als Hobhouse ihn zwei Tage nach der Taufe bat, sofort nach London zurückzukehren, empfand Byron das als große Erleichterung. Sein Vater, dachte er, konnte es nicht sehr schwer gehabt haben, Augustas Mutter zu verführen - bei der Verwandtschaft! Bestimmt war der Herzog von Leeds eine getreue Verkörperung seines Erzeugers.
    Er vergaß jedoch seinen Groll auf sämtliche Angehörige der Taufgesellschaft völlig, als Hobhouse ihm mit abgewandtem Gesicht sagte: »Du besuchst deine Schwester besser nicht mehr so schnell, Byron.«
    »Was soll das heißen?« fragte er alarmiert.
    »In gewissen Kreisen… beginnt man sich… und vor allem eine gewisse Person… Gedanken zu machen,

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