Wainwood House - Rachels Geheimnis
waren. Die eigentliche Sensation war der Tod des Ausgrabungsleiters gewesen. Er kam bei einem Unfall im Gebirge ums Leben, eine Woche bevor Rachel in Kairo ermordet wurde.«
»Genau wie meine Eltern«, sagte Jane und war nicht mehr länger in dem behaglichen Gästezimmer mit den geblümten Tapeten. In ihren Gedanken stand sie am Fuße der Berghänge, an denen die Explosion ihre Eltern getötet hatte. Die Druckwelle der Detonation hatte die Zelte des Ausgrabungslagers niedergerissen und ihre gesamte Habe durcheinandergewirbelt. Rußige Kochtöpfe, Bücher und die flatternden bunten Schals ihrer Mutter. Der Schmerz über den Verlust ihrer Eltern brannte immer noch so heiß in ihr wie an jenem Tag, an dem sie mit Colonel Feltham nach Kairo aufbrach und wie an jedem einzelnen Tag der Überfahrt auf dem Schiff nach England. Auf Wainwood war ihr eine geordnete Zukunft angeboten worden, doch die Vergangenheit ließ sich nicht so säuberlich wie ein offener Schuldschein tilgen.
»Das ist noch nicht alles«, riss Penelope sie aus ihren Erinnerungen. »Es gab doch noch dieses Kindermädchen.«
Janes Gesichtsausdruck war der Spiegel ihrer Ahnungslosigkeit.
»Mein Vater und Rachel hatten ein Kindermädchen, das im letzten Herbst in London gestorben ist«, erklärte Penelope geduldig. »Mit siebenundachtzig im Schlaf. Es war absolut nichts Unnatürliches daran. Sie wurde auf ihren Wunsch hin in Wainwood beerdigt. Doch Julian war bei ihrer Nichte und erfuhr, dass sie kurz vor ihrem Tod Besuch von einem englischen Gentleman hatte. Der Mann traf Rachel vor Jahren in Ägypten und hat sich nach ihr erkundigt. Offenbar hatte Rachel etwas für ihn aufgehoben, einen persönlichen Gegenstand ohne großen Wert. Der fremde Herr brachte der alten Dame einen schönen Strauß Herbstrosen mit. Er blieb zum Tee und soll sich sehr geduldig mit ihr unterhalten haben.«
»Ein englischer Gentleman?«, fragte Jane gedehnt. Bisher war sie immer davon ausgegangen, dass ihre Verfolger Ägypter waren.
»Genau das hat mir auch zu denken gegeben«, sagte Penny. Sie saßen inzwischen beide mit überkreuzten Beinen auf dem Bett. »Ich würde Julian gern eine Abschrift der Liste schicken. Vielleicht kann er über einen dieser Namen etwas herausbekommen.«
Penelope sah Jane so erwartungsvoll an, als hätte sie es mit einer Freundin zutun. Sie wahrte ihr gegenüber nicht länger die einstudierte Distanz einer jungen Lady und beugte sich zu Jane hin mit vor Jagdfieber glänzenden Augen und einem Lächeln, in dem noch ein Krumen Apfelbrot klebte. Einen kurzen Moment lang spielte Jane mit dem Gedanken, die Papierbögen einzusammeln und so leise wieder hinauszugehen, wie sie gekommen war. Doch obwohl sie es in den letzten Wochen hartnäckig vor sich selbst verleugnet hatte, wollte sie die Wahrheit wissen. Sie wollte herausfinden, warum ihre Eltern gestorben waren und wer es auf sie abgesehen hatte. Sie wollte nicht länger blind vor Angst davonlaufen. Und womöglich wollte sie sogar eine Freundin haben.
»Schicken Sie ihm die Namen«, willigte sie ein. »Es kann nicht schaden, mehr über die ganze Sache herauszufinden.« Bevor Jane aufstehen konnte, beugte sich Penelope im Sitzen vor und zog sie in eine impulsive Umarmung. Sie roch nach Annabells Tinkturen und nach Hackpastete. Ihr Haar drückte so weich gegen Janes Wange, wie vor noch nicht einmal einem Jahr die schwarzen Locken ihrer Mutter.
»Wir werden die Wahrheit herausfinden«, versprach Penelope. »Und ich werde nicht zulassen, dass jemand Ihnen etwas zuleide tut.« Während Jane unbeholfen einen Arm um das andere Mädchen legte, dachte sie, dass es dennoch nicht schaden würde, sich ein neues Messer zu besorgen, nur für alle Fälle.
In den letzten beiden Märzwochen brach immer öfter die Sonne durch. Tante Mildred nahm Penelope mit zu zahllosen nervenstärkenden Spaziergängen. Diese nachmittäglichen Ausflüge dienten jedoch auch Penelopes Übung in Sachen Konversation. Sie musste an jeder Straßenecke das Gesprächsthema wechseln. Und natür lich durften ihre Plaudereien nur um heitere, angenehme Themen kreisen. Politische Ansichten waren genauso unwillkommen wie alle anderen gewichtigen Stoffe, echte Vertraulichkeiten oder gehässige Bemerkungen. Penelope wandte ein, dass sie bereits einige Damen aus den vornehmsten Familien des Landes getroffen hatte, die nur zu gern Gehässigkeiten austauschten, doch das ließ Tante Mildred nicht gelten. Also ergingen sie sich auf den Spaziergängen nur in
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