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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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Waffe so selbstverständlich in der Hand, als hätte er schon oft damit geschossen. Jane versuchte, ihn mit dem höflichen Geschäftsmann in Einklang zu bringen, der in Wainwood zu Gast gewesen war. Doch in Wahrheit hätte sie sich nicht an ihn erinnert, wenn er der Familie Goodall nicht noch vor ein paar Tagen seine Aufwartung gemacht hätte. Ambrose White gehörte zu den Männern, die eher durch ihre Geschäftsbilanzen von sich reden machten als durch große Gesten oder Skandale. Sein Gesicht war ihr vage bekannt vorgekommen, ohne dass es einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterließ. Er hatte eine angenehme Stimme, tadellose Manieren und einen ersten Bauchansatz. Jane wäre bereit gewesen zu beschwören, dass er einem anständig gebundenen Krawattenknoten mehr abgewinnen konnte als falkenköpfigen Göttern oder einer perfekt eingefädelten Entführung.
    »Was haben Sie mit alldem zu schaffen?«, wollte Jane mit offener Ratlosigkeit wissen.
    Mr White runzelte missbilligend die Stirn, als hätte er mehr von ihr erwartet und müsste nun ihr Versäumnis tadeln. »Miss Swain, haben Sie denn das immer noch nicht erkannt?«
    Nach dieser unbefriedigenden Antwort verfielen sie wieder in ein angespanntes Schweigen. Die Schatten zwischen den Häusern, an denen sie entlangfuhren, wurden länger und tiefer, die Straßen holpriger. Nur selten beleuchtete eine Laterne ihren Weg. Sie durchquerten Häuserschluchten, in denen die Mauern schwarz vom Ruß der Schornsteine waren und die Fensterscheiben zersprungen. Die Menschen wirkten, als wären sie geradewegs aus den Seiten eines Romans von Charles Dickens entsprungen. Es waren knochendürre Gestal ten, gehüllt in Lumpen, mit verhärmten Gesichtern, die an den Häuserecken herumlungerten oder an den wenigen Brunnen mit Töpfen und Eimern um Wasser anstanden. Kinder spielten trotz der späten Stunde im Dreck und die herumziehenden Frauen waren offensichtlich nicht um ihren guten Ruf besorgt. Sie schritten ganz allein durch die Straßen, spielten Karten auf herumgedrehten Fässern und tranken aus klebrigen Flaschen. Kaum jemand sah auf, als die Kutsche an ihnen vorbeiratterte.
    Inzwischen drang in dem Zweispänner das Schweigen zähflüssig aus allen Ritzen. Jane lehnte sich müde gegen die Lederpolster. Der Falke neben ihr schien im Sitzen zu schlafen. Allein der Revolver in Mr Whites Hand war unbeirrbar auf sie gerichtet. Nur wenn das mit Schlaglöchern übersäte Pflaster einen Ruck durch die Kutschte jagte und der Vogel unruhig mit den Flügeln schlug, zuckte das Mädchen zusammen. Einen entsetzlichen Augenblick lang fürchtete es dann, dass die Waffe aus Versehen losgehen könnte. Doch stets wahrte Mr White die gleiche unumstößliche Ruhe, mit der er auch die Bridgepartien gegen Tante Mildred ertragen hatte und die laue Verachtung seiner adeligen Verwandtschaft.
    Das Armenviertel ging in Straßen mit beschaulichen Häusern und weitläufigen Gärten über. Sauber gestrichene Zäune und blühende Hecken zogen sich unter dem aufgehenden Frühlingsmond dahin. Dann ließen sie London endgültig hinter sich zurück. Mit der Stadt erloschen die letzten Lichter. Es gab keine Straßenlaternen mehr und keine Fenster leuchteten in der hereinbrechenden Nacht. Um sie herum breiteten sich Felder unter dem immer schwärzer werdenden Himmel aus. Die Straße vor ihnen verschwand schon in der Dunkelheit. An einer einsamen Kreuzung machten sie halt. Durch das Kutschenfenster glaubte Jane schemenhafte Gestalten am Wegesrand zu erkennen. Doch das konnte sie unmöglich mit Sicherheit sagen.
    Der orientalische Diener stieg mit dem Vogel aus und klappte für Mr White das Trittbrett herunter. »Bitte machen Sie sich nicht die Mühe zu fliehen, Miss Swain«, legte der Geschäftsmann ihr höflich nahe. »Hier gibt es auf Meilen keine anderen Menschen, und es würde mir leidtun, Sie von hinten niederschießen zu müssen.«
    Er schien keine Antwort zu erwarten, und Jane war sich nicht sicher, ob sie zu einer Flucht imstande gewesen wäre. Selbst die Kutsche wirkte plötzlich wie ein erstrebenswerter Ort, solange nur Mr White nicht darin weilte. Plötzlich war sie ganz sicher, Bewegungen rund um den Wagen zu vernehmen. Sie hörte Schritte, die im Sand knirschten, und das Flüstern gesenkter Stimmen.
    Eine Flamme leckte unter dem Fenster in der Dunkelheit auf. Sie brannte auf einem Kerzenstummel und wurde, von einer hohlen Hand beschirmt, um die Kutsche herum getragen, um nacheinander die Laternen an dem

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