Wainwood House - Rachels Geheimnis
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»Können Sie mir sagen, wer Colonel Feltham ist?«, erkundigte sie sich betont unverfänglich. »Ich habe seinen Namen heute Morgen beim Frühstück gehört, kann mich aber nicht erinnern, ihn jemals auf Wainwood gesehen zu haben.«
Frost verharrte auf der Türschwelle. »Colonel Feltham ist ein alter Freund von Lord Derrington, der zuletzt im Sudan stationiert war. Er zählt zu Ihrer Verwandtschaft im weitläufigeren Sinne.«
Als der Butler endgültig den Raum verließ, war Penelope überzeugt, dass er ihr etwas Entscheidendes verschwiegen hatte, obwohl es für diese Annahme nicht den geringsten Hinweis gab. Es handelte sich um dieselbe intuitive Gewissheit, mit der sie ein Geheimnis hinter Janes Ankunft vermutete. Ein Geheimnis, das etwas mit der Vergangenheit ihres Vaters in Ägypten zu tun hatte, und mit dem unbekannten Colonel Feltham. Allein in der Bibliothek zurückgeblieben, kam Penelope zum ersten Mal der Gedanke, dass sie sich unbedingt mit Jane unterhalten musste. Und genau wie Benjamin hätte sie gerne gewusst, ob Miss Swain noch eine Weile auf Wainwood bleiben würde.
Ein Stockwerk tiefer stellte Jane sich gerade genau dieselbe Frage, denn obwohl Lord Derrington sich entschlossen hatte, ihr eine Arbeit zu geben, schien sonst niemand damit einverstanden zu sein. Sie stand in einem schmalen Raum, der mit einstmals prächtigen, nun aber abgewohnten Möbeln eingerichtet worden war. Es gab zwei monströse Schränke, die vor Jahren dunkel geglänzt haben mochten, aber inzwischen abgestoßene Ecken und tiefe Kratzer aufwiesen. Die Bezüge der Ohrensessel waren an den Armlehnen abgeschabt. Ein Spitzendeckchen konnte die Brandflecke auf der Tischplatte nur notdürftig verbergen. Da durch das niedrige Souterrainfenster kaum Tageslicht hereinfiel, warf eine bauchige Gaslampe einen gelblichen Schein in den Raum. Die Bewohnerin dieses kleinen Salons im Keller war die Wirtschafterin und Hausdame Mrs Chambers. Sie stand vor Jane an Mr Frosts Seite und betrachtete das Mädchen, das sie zuvor nur kurz in die Wäschekammer geführt hatte, misstrauisch. Meredith Chambers war eine Frau, die dabei war, ihre besten Jahre hinter sich zu lassen. Sie war um die Hüften herum in die Breite gegangen. Feine Fältchen gruben sich in ihr rosiges Gesicht, und die Fertigkeit, ihren enormen Wulst an dunklen Locken in einem strengen Knoten zu bändigen, schien Jane an Zauberei zu grenzen. Mrs Chambers trug ein hochgeschlossenes Kleid von dunklem Violett. Sie musterte Jane mit einer Eindringlichkeit, als wollte sie ihre Tauglichkeit für die offene Feldschlacht abschätzen. Ihre aufeinandergepressten Lippen bildeten eine dünne Linie. Sie hielt das Kinn kämpferisch vorgestreckt. Jane wäre nicht überrascht gewesen, wenn die Hausdame sie aufgefordert hätte, den Mund zu öffnen, um sich vom Zustand ihrer Zähne zu überzeugen, wie beim Kauf eines Kamels auf dem Viehmarkt in Kairo.
»Was fangen wir jetzt mit ihr an?«, wollte Mrs Chambers endlich wissen und sprach damit aus, was allen drei Anwesenden auf dem Herzen lag.
»Seiner Lordschaft zu Folge bilden wir sie zu einem Hausmädchen aus«, erklärte Frost stoisch. Er hasste es, sich wiederholen zu müssen, und war nun schon zum dritten Mal aufgefordert worden, diesen Satz auszusprechen, gerade so, als würde er dadurch an Logik gewinnen.
»Aber sie hat niemals in einem großen Haushalt gearbeitet, oder? Sie verfügt über keinerlei Erfahrung? Andere fangen mit zwölf, dreizehn Jahren an und dieses Mädchen ist doch gewiss schon fünfzehn.«
»Sechzehn«, präzisierte Frost eisern.
»Spricht sie überhaupt englisch?«
»Mein Vater war Engländer«, wagte Jane ohne die Spur eines Akzents einzuwerfen. Mrs Chambers besaß den Anstand zu erröten, dann schien sie sich zu einem Entschluss durchzuringen.
»Nun, ich nehme an, wir werden irgendeine Arbeit für sie finden, nicht wahr?«, wagte sie eine mutige Prognose. »Eines der Mädchen könnte ihr eine alte Schürze und ein Häubchen leihen, bis sie sich ihre eigene Ausstattung genäht hat.«
»Sie soll Marys Stelle einnehmen«, schaltete sich Frost erneut ein. Seine Kunde schien ihm genauso wenig Freude zu bereiten wie der Wirtschafterin.
»Beginnen wir damit, dass sie sich den übrigen Mädchen anschließt«, entschied sie widerstrebend. »Beatrice kann ein Auge auf sie haben und in Hannas Zimmer ist noch ein Bett frei.«
Sie trat näher an Jane heran und schien nur schwer der Versuchung wiederstehen zu können,
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