Wainwood House - Rachels Geheimnis
selbst zum Kamm zu greifen. »Du wirst etwas mit deinen Haaren machen müssen. Trete in so einem Zustand nie wieder seiner Lordschaft unter die Augen! Ist das dein einziges schwarzes Kleid? Was hast du mit deinen Schuhen gemacht? Sie sehen aus, als wärst du geradewegs durchs Unterholz gelaufen.«
Kaum eine halbe Stunde später trug Jane eine Schürze über ihrem Kleid und eine saubere Haube auf den hochgesteckten Haaren. Ihr Korsett schnürte ihr wieder die Luft beim Atmen ab. Die Schuhe glänzten vor frischem Wachs und Mrs Chambers hatte ihr einen abgelegten weißen Kragen geliehen. Es war unmöglich gewesen, in der kurzen Zeit auch noch ein paar Manschetten für sie aufzutreiben, aber am Ende war die Hausdame leidlich zufrieden mit ihrem neuen Mädchen.
»Du wirst dir weißen Stoff kaufen müssen und deine Ausstattung selbst nähen«, erklärte sie Jane, die niemals mehr als Risse im Zeltstoff oder ein Loch in der Hose geflickt hatte. »Die Anderen können dir mit dem Schnitt helfen. Lohn gibt es am Ende jeden Halbjahres. Für den Anfang wirst du mit höchstens sechzehn Pfund im Jahr rechnen können. Zerbrochenes Geschirr geht davon genauso ab, wie Socken und Seife. Du bekommst am Sonntag Zeit, um in die Kirche zu gehen. Des Weiteren einen freien Nachmittag pro Monat. Wir nehmen die Mahlzeiten gemeinsam ein, wer sie verpasst, darf keinen Ersatz erwarten.«
Fürs Erste zufrieden mit ihrer Auflistung, sah sie mit einem Hauch von Wohlwollen auf Jane hinab. Ein kurzes Nicken zur Bekräftigung ihrer Worte unterstrich das Ende ihres Vortrages. Mrs Chambers wandte sich zum Gehen, offenbar daran gewöhnt, dass ihre Untergebenen ihr auf dem Fuße folgten. Während Jane hinter ihr herschritt, bemerkte sie das schwere Schlüsselbund in der Hand der Hausdame und die gestrenge Würde, die sie ausstrahlte, als sie das frischgebackene Dienstmädchen durch das verschachtelte Kellergeschoß führte. Ihre voluminösen Röcke raschelten leise auf den nackten Steinfliesen. Ihr breiter Rücken ragte wie ein Fels vor Jane auf. Die Scheuermagd, die ihnen mit zwei Eimern voller Asche entgegenkam, stob bei ihrem Anblick genauso zur Seite wie der hochgewachsene junge Diener mit dem Tablett voller Tafelsilber. Mrs Chambers unterbrach ihren Marsch und bedachte ihn mit einem langen Blick des Tadels. »Sie haben das Frühstück versäumt, Samuel«, stellte sie kategorisch fest. »Schon wieder!«
Ein Lächeln breitete sich auf dem ebenmäßigen Gesicht des Hausdieners aus, so gewinnend, als hätte sie statt einer Rüge ein Kompliment an ihn ausgeteilt. »Wird nicht wieder vorkommen, Ma’am«, erklärte er liebenswürdig. »Ich musste Mr Rushforths graue Weste aus der Wäschekammer holen. Dadurch hat sich das Ankleiden verzögert.«
»Das haben Sie mir bereits das letzte Mal versprochen. Und diese Ausrede haben Sie im vergangenen September schon einmal benutzt«, stellte Mrs Chambers trocken fest. »Es sieht Ihnen gar nicht ähnlich, so einfallslos zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass es kein gutes Licht auf Sie wirft, wenn Sie Ihre Pflichten gegenüber dem jungen Mr Rushforth so nachlässig erfüllen.«
»Ich werde mir die allergrößte Mühe geben, keinerlei Westen mehr in der Wäsche zu vergessen und keine Ausrede doppelt zu verwenden«, erklärte Samuel mit der größtmöglichen Ernsthaftigkeit, zu der er fähig war. Dennoch konnte Jane den Schalk in seinem Blick aufblitzen sehen, und obwohl Mrs Chambers um ein strafendes Stirnrunzeln bemüht war, misslang ihr dieser Versuch kläglich. Vermutlich brach Samuel dem gesamten weiblichen Gesinde das Herz, dachte Jane belustigt und konnte sich gleichzeitig des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei seiner charmanten Respektlosigkeit um eine wohleinstudierte Rolle handelte. Eine bewährte Strategie, die der junge Diener an den Tag legte, um einen inneren Abstand gegenüber seinen Mitmenschen zu wahren und nicht mit echten Gefühlen behelligt zu werden.
»Das wäre wünschenswert«, stellte Mrs Chambers spröde fest, dann wandte sie sich halb zu Jane herum, um sie einander vorzustellen. »Dies ist Jane Swain. Sie wird die Mädchen unterstützen und einstweilen Mary ersetzen. Jane, dieser leichtfertigte junge Mann ist Samuel Kingston, unser zweiter Hausdiener. Er untersteht dem ersten Hausdiener, August Talbot und unserem Butler Mr Frost, so wie Sie dem obersten Hausmädchen Beatrice und meiner Person unterstehen werden. Sie sprechen die anderen Hausdiener und Mädchen mit dem Vornamen
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