Wainwood House - Rachels Geheimnis
Herrenhaus hatte und wie viele Stunden vonnöten waren, um auch nur einen Bruchteil davon den ganzen Tag über zu beheizen. Als sie zum Tee herunterkam, hatte sie Rußflecken auf ihrer weißen Schürze und ihre Arme schmerzten vom vielen Holzschleppen.
Offenbar wurde sie nicht dafür gebraucht, den Herrschaften aufzutragen, aber sie verbrachte einen guten Teil des Abends damit, Servietten zu falten, bis sie eine Form annahmen, die Mrs Chambers für ein alltägliches Dinner gerade noch akzeptabel fand. Sodann mussten schwere Tischtücher aus den Wäscheschränken zum Eindecken hinaufgebracht werden, gefolgt von einer endlosen Reihe kleinerer Schüsseln und Teller, die nicht mehr in den Aufzug neben der Anrichte passten und den Hausdienern deshalb zum Servieren gereicht werden mussten.
Als Jane der schüchternen Hanna nach dem späten Abendessen der Dienstboten in eine Kammer im Dachgeschoß folgte, war sie überrascht, dass ihre Füße sie überhaupt noch die vielen Stufen hinauftrugen. Ohne die entsetzte Hanna eines Blickes zu würdigen, befreite Jane sich mit grobem Zehren selbst aus dem Korsett und schleuderte das lästige Ding in die nächste Ecke. Sie hatte an diesem Abend keine Kraft mehr dafür übrig, um sich darüber zu sorgen, dass die anderen Dienstboten sie wie ein exotisches, gefährliches Raubtier beobachteten und zu tuscheln begannen, sobald sie einen Raum verließ. Als Jane sich die Decke bis über die Schultern zog, wollte sie nur noch der klammen Kälte der unbeheizten Dachkammer entkommen und ihrem neuen Leben, das nur aus einer endlosen Aneinanderreihung von Pflichten bestand. Sie zog unter der Decke die Knie an den Körper und umarmte sie so fest, als könnten sie ihr die fehlende Wärme spenden. Ihr Kissen roch nach Seifenlauge, nach Wäschelavendel und ein bisschen muffig, nach Dachboden. Über ihr fegte ein launischer Herbstwind über die Dachziegel, drückte gegen das Mansardenfenster und fuhr in die Kaminschächte. Von all den Bildern und Eindrücken, den neuen Geräuschen und Gerüchen, die heute auf Jane eingeprasselt waren, war es ausgerechnet der nächtliche Wind über den Dächern von Wainwood, der sie wieder beruhigte und willkommen hieß. Jane war eingeschlafen, noch bevor Hanna das Licht gelöscht hatte.
In der nun folgenden Woche machte Penelope die er nüchternde Erfahrung, dass eigenhändig Ermittlungen anzustellen weit weniger spannend war, als in einem Detektivroman darüber zu lesen. Es vergingen zwei Tage, bevor sie Beatrice eine beiläufige Bemerkung darüber entlockte, was aus dem ägyptischen Mädchen geworden war. Und drei weitere, bis Penny einsehen musste, dass es unmöglich war, Jane zufällig in den unzähli gen Zimmern von Wainwood zu begegnen. Als die geringste Dienerin in einer endlosen Kette von Hausmädchen schien sie nur knapp über den Küchenmägden zu rangieren und daher von allen Familienmitgliedern tunlichst ferngehalten zu werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben begann Penelope sich darüber zu ärgern, dass die Aufgaben des Gesindes so perfekt auf den Alltag ihrer Dienstherren abgestimmt worden waren, dass kaum eine Begegnung mit ihnen möglich war. Natürlich hätte Penny einfach danach verlangen können, mit Jane zu sprechen, doch ein solches Vorgehen hätte zweifellos Fragen aufgeworfen und für Getuschel gesorgt. Und Getuschel galt es unbedingt zu vermeiden.
So konzentrierte sie sich bei ihren Nachforschungen vorerst auf Colonel Feltham, die ominöse Rachel und das kaum weniger geheimnisvolle Ägypten. Die nächste Hürde war das Leseregister in der Bibliothek. Jedes Buch, das entfernt wurde, musste in feinsäuberlicher Schrift in eine Liste eingetragen werden, sodass keiner der kostbaren Folianten verloren gehen konnte. Da Penelope der Lektüre, die für ein junges Mädchen als angemessen betrachtet wurde, von jeher wenig abgewinnen konnte, hatte sie seit Jahren einen geheimen Verbündeten. Wann immer Julian in den Ferien nach Hause gekommen war, hatte er für Penelope Bücher aus der Bibliothek geholt, die auf seinen Namen in die Liste eingetragen wurden. Daran gewöhnt, für seine Ziehschwester Reiseberichte über Kannibalen, Wüstenkarawanen und wilde Reitervölker zu organisieren, stellte Julian keine weiteren Fragen, als Penny ihn um einige Werke über Ägypten bat. Nur der Form halber suchte sie sich noch ganz offen zwei Liebesromane und einen Band mit Erbaulichen Predigten zur Erhebung des Geistes und der Förderung der rechten Gesinnung in
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