Wainwood House - Rachels Geheimnis
wieder in einem Haus von Rang empfangen zu werden. Aber vielleicht lässt sich zumindest für das Kind eines Tages eine vorteilhafte Partie arrangieren.«
An dieser Stelle hielt Mildred gerade lange genug inne, um Julian einen bedeutungsschweren Blick zuzuwerfen. Der junge Mann lächelte sie über seine dampfende Teetasse hinweg so unbeschwert an, als läge es außerhalb seiner Vorstellungskraft, dass eine junge Frau vor dem Tag ihrer Hochzeit schwanger werden konnte. Ohne dass auch nur eine Miene im Raum verzogen wurde, war der gesamten Teerunde bewusst, dass Julians verstorbene Mutter vor vielen Jahren eben dasselbe Schicksal ereilt hatte wie jene unglückliche junge Dame. Um sich nicht vollends zu ruinieren, hatte sie den Antrag von Lord Derringtons Cousin annehmen müssen, einem liebenswerten Gentleman ohne Geld und Titel. Als die beiden vor Jahren gestorben waren, hatte es nichts gegeben, was sie ihrem einzigen Sohn hätten hinterlassen können, außer dem Geflüster über den Skandal seiner Geburt. Doch als wäre Mildreds Seitenhieb ungehört verhallt, rührte die Hausherrin weiter in ihrem Tee, Claire zupfte gelangweilt am Saum ihres Ärmels und Penelope schien sich nicht zwischen zwei Keksen entscheiden zu können.
»Nun, dann bleibt dem lieben Mädchen nur zu wün schen, dass es um seines Charakters willen geliebt wird«, gab Lord Derrington milde zu bedenken.
Seine Tante gestattete sich ein dünnes Lächeln. »Sei doch bitte nicht albern, mein lieber Charles«, wies sie ihren Neffen zurecht. »Keine Dame von Stand wird allein aufgrund ihres Charakters von einem Mann auserwählt.«
»Dann hat sie ja Glück, dass sie nun über keinerlei Stand mehr verfügt und selbst über ihr Schicksal entscheiden kann«, rutschte es Penny heraus, der im selben Augenblick die allgemeine Aufmerksamkeit gewiss war. Allein in Julians Augen blitzte ein warmer Hauch von Dankbarkeit auf, die übrigen Reaktionen reichten von ungläubigem Staunen bis hin zu tadelndem Stirnrunzeln.
»Wie viel Zeit bleibt Penelope noch bis zu ihrem Debüt, Genevieve?«, erkundigte sich Mildred in die unangenehme Gesprächspause hinein.
»Etwas über ein Jahr«, erklärte Lady Derrington, während sie mit strafend gehobener Augenbraue zu ihrer jüngeren Tochter hinübersah.
»Dann besteht ja noch Hoffnung«, bemerkte Tante Mildred trocken.
Penny spürte, wie sie bis unter die Haarwurzeln errötete, während Claire ein absolut undamenhaftes Grinsen gerade noch hinter einem Biskuit verbergen konnte. Bis sich alle zum Umziehen zurückzogen, wagte Penelope kein weiteres Wort mehr zu sagen. Sie war dazu übergegangen, mit ihrer Kuchengabel herumzuspielen, was ihr einen erneuten Tadel einbrachte. Doch da Mildred den Rest der Unterhaltung nahezu allein bestritt, fiel dabei niemandem auf, dass auch Julian ungewöhnlich schweigsam war.
Der Familie blieben fast zwei Stunden in der Zurückgezogenheit ihrer Zimmer, um sich für das nächste Gefecht zu rüsten. Penelope hatte einen übellaunigen Bonifacius in ihren Räumen in Schutzhaft genommen. Sie musste mit der schüchternen Hanna als Hilfe beim Ankleiden vorliebnehmen, während Claire sich von Beatrice die Haare zu einem komplexen Kunstwerk aus gedrehten Locken hochstecken ließ. Hanna fürchtete stets, Penny das Korsett zu eng zu schnüren oder die kostbare Abendgarderobe zu verderben. Sie ließ sich niemals zu einem Klatsch verleiten. Jeder ihrer Bewegungen haftete ein ängstliches Huschen an, als wäre sie eine Maus, die sich unvorsichtigerweise in das Revier der Katze gewagt hatte. Und in letzter Zeit schien sie Penelope noch nervöser zu sein als für gewöhnlich. Sie stach dem jungen Mädchen mit der Haarnadel in die Kopfhaut und brach fast in Tränen aus, als sie bemerkte, dass sie einen unschönen Flecken auf Pennys Seidenhandschuhen übersehen hatte und es nun zu spät war, um ihn noch herauszureiben. Fast war Penny dankbar, als endlich der Gong geschlagen wurde, der sie zum Essen herunter rief.
Der erste Gang bestand, mit Rücksicht auf Tante Mildreds besondere Vorliebe, aus kunstvoll geformtem Fischgelee. Erwartungsgemäß wurde danach eine zarte Fasanenbrust in Aspik serviert, die Mildred zu einem Monolog über die unzähligen Vorzüge von Geliertem inspirierte. Der Hauptgang kam zur Erleichterung der übrigen Familienmitglieder ohne die glibberige Zutat aus. Darüber wandte sich das Tischgespräch von den Erfolgen der Jagdsaison zu den Reiseplänen der gehobenen Gesellschaft. Seit die
Weitere Kostenlose Bücher