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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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Heimat.
    Derart in Gedanken versunken, sah Jane zu spät auf, als hinter ihr ein blechernes Klingeln aufgellte. An der Wand war eine lange Reihe von Messingglocken angebracht, die über Drahtschnüre mit den Klingelzügen im ganzen Haus verbunden waren. Unter jeder Glocke hing ein Schild mit dem Namen des Raumes, von dem aus sie betätigt wurde, um einen Diener herbeizurufen. Für gewöhnlich saßen wenigstens ein oder zwei Dienstboten in der Gesindekammer bereit, doch an diesem Nachmittag hatte jeder von ihnen in einem anderen Teil des Hauses zu tun. Jane hatte den Zeitpunkt gut gewählt. Sie war ganz allein und hatte die Dummheit begangen, sich mit dem Rücken zu den Glocken hinzusetzen.
    Obwohl sie wie ein Jagdhund beim Klang des ersten Hornsignals aufsprang, war Jane nicht schnell genug, um zu sehen, welche Glocke angeschlagen hatte. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Sie sah die Klingelzüge beschwörend an, als würde ihr in den herrschaftlichen Räumen jemand den Gefallen tun, noch einmal zu läuten. Doch die Glocken standen still.
    Jane hielt abwägend inne und zupfte ihre verrutschten Manschetten zurecht, bevor sie mit geschürzten Röcken die enge Treppe zum Erdgeschoss hinauf eilte. Zuerst hielt sie auf den gelben Salon zu, den Lady Derrington für gewöhnlich bevorzugte, doch auf ihr höfliches Klopfen hin regte sich nichts. Die Bibliothek lag genauso verlassen da wie die Eingangshalle. Jane wollte gerade weiterhasten, als sich die Tür zum Kaminzimmer öffnete und sie in das oberste Hausmädchen hineinrannte. Während Beatrice ihren Sturz gerade noch am Türrahmen abfangen konnte, prallte Jane zurück und landete so schmerzhaft wie unwürdig auf ihrem Hinterteil. Zwischen den beiden jungen Mädchen ging scheppernd ein silbernes Tablett zu Boden. Die Zuckerdose büßte beim Aufprall einen Henkel ein, rollte noch ein Stück weiter und verstreute dabei ihren Inhalt auf dem Boden. Der Rest des zartbemalten Porzellans überstand den Sturz weit weniger gut. Hauchdünne Teetassen gingen mit einem schrillen Klirren zu Bruch. Die Teller zersprangen noch auf dem Tablett.
    »Kannst du nicht aufpassen!«, wurde Jane ange herrscht, bevor sie auch nur die Gelegenheit hatte, sich aufzusetzen. Beatrice hatte sich sofort wieder gefangen. Ihre Augen nagelten das Mädchen am Boden fest. Ihr schneidender Tonfall hätte einen Ochsen feinsäuberlich filetieren können. Nun trat hinter Beatrice auch noch die ältere der beiden Goodall-Töchter heran, um zu sehen, was dieser unmanierliche Aufruhr zu bedeuten hatte. Als Beatrice sich zu ihr umwandte, verwandelte sie sich vor Janes staunenden Augen in einen anderen Menschen. Das Lächeln auf ihrem spitzen Gesicht war geradezu lieblich. Aus ihrer Stimme sprach eine Sanftheit, die das oberste Hausmädchen für gewöhnlich vermissen ließ. »Sie müssen verzeihen, Lady Claire, aber das neue Mädchen ist noch so ungeschickt.«
    Ein gnadenloser Blick auf die Verwüstung schien das nur zu bestätigen, und Jane war lange genug auf Wainwood, um zu wissen, dass jetzt von ihr erwartet wurde, die Scherben mit stummem Diensteifer aufzulesen. Ohne aufzusehen, machte sie sich ans Werk.
    »Man kann es ihr kaum verdenken, hat sie doch bisher im Ausland gelebt, fern von jeder zivilisierten Gesellschaft«, fügte Beatrice scheinheilig hinzu, als Jane gerade den Arm nach der Zuckerdose ausstreckte, die unter eine krallenfüßige Kommode gerollt war. Sie musste nicht erst aufsehen, um die Mischung aus wohliger Sensationslust und offener Verachtung in den Mienen der beiden Frauen zu lesen. Jane glaube ihre Blicke im Rücken zu spüren, wie das abwartende Lauern zweier Geier über einem besonders schwächlichen Antilopenkitz.
    »Ich verstehe nicht, warum man sie bis ins Haus hinauf lässt«, merkte Claire Goodall spröde an.
    »Seine Lordschaft ist ein so gütiger Mann«, bestätigte Beatrice in einem Tonfall, der nahelegte, dass niemand auf Wainwood diese Entscheidung verstand. »Selbstredend wird ihr der Schaden vom Lohn abgezogen.«
    Jane richtete sich mit so viel Würde auf, wie sie auf dem Teppich zusammenkratzen konnte. Schweigend und mit schief sitzendem Häubchen im Haar trug sie das Tablett mit dem zerbrochenen Geschirr den Flur hinab. Um nicht unter den Augen von Beatrice und Lady Claire die Beherrschung zu verlieren, hielt sie sich sehr gerade und schritt ohne sich umzusehen davon. Erst als die Tür zum Dienstbotentrakt hinter ihr zugefallen war, drückte sie das Tablett einem vorbeieilenden

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