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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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Antlitz. Der Verstoß gegen die Regeln der heiligen Harmonien war an ihren Gesichtern abzulesen, offenbarte sich unauslöschlich an ihren Körpern. Dies war eine
Cloaca gentium
, hier versammelten sich die Bastarde der Welt.
    »Welcher Teufel hat Sie denn geritten, heute durch die Wüste zu fahren?«, fragte der Hausherr, als sich die ersten Höflichkeitsfloskeln erschöpft hatten.
    »Es hat uns niemand vor dem Unwetter gewarnt«, erklärte Eva.
    »Aber man merkt doch, wenn ein Unwetter im Anmarsch ist«, erwiderte der Mann und nahm den Wasserkessel vom Feuer. »Setzen Sie sich.«
    Ein Wink des Vaters genügte, und die zwei Jungen räumten die Kleider und Teller weg, die sich auf den vier Stühlen stapelten. Auch Eva gehorchte und setzte sich. Man konnte sich bestens vorstellen, wie hier drinnen alle stumm gehorchten, dachte sie.
    Sie täuschte sich.
    Mit Angst oder Unterwürfigkeit hatte das schweigsame Auftreten nichts zu tun, es war einfach der ungewohnten Anwesenheit der vielen Fremden geschuldet. Sie hatten sich in ihren vier Wänden aus Ziegeln und Balken ihre eigene Welt erschaffen; wie man mit Besuch umging, wussten sie allerdings nicht. Die junge Frau hielt die Spitze eines vertrockneten Astes ins Feuer und zündete damit die Kerzen an, während die Jungen das Regenwasser aus den Eimern in einen Metallkübel gossen. Alle fühlten sich unwohl, wussten nicht, was sie tun oder sagen sollten. Alle außer Lilith, die an den Altar herangetreten war und sich neben die junge Frau gestellt hatte. Stumm beobachtete sie, wie diese den brennenden Ast von einer Kerze zur nächsten führte.
    »Wer ist das?«
    Die junge Frau blickte verstohlen zum Hausherrn hinüber, der ihr zunickte, während er weiter den Mate zubereitete.
    »Das ist Ngenechen«, antwortete das Mädchen so leise, dass nur Lilith sie verstand.
    »Ein Heiliger?«
    »Ein Gott«, warf der Mann ein.
    »Was für ein Gott?«
    »Schluss jetzt, Lilith«, sagte Eva.
    Doch Lilith sah ihre Mutter nicht an, sie wartete auf eine Antwort.
    »Von den Mapuche.«
    »Sind das die Indianer, die sie damals umgebracht haben …?«
    »Ein paar leben noch«, erklärte der Hausherr augenzwinkernd.
    Die junge Frau verließ den Raum und trat kurz darauf wieder ein, beladen mit einem Stapel Holzscheite. Sie hatte sich die Scheite so auf den Bauch gelegt, dass sie nicht auf den Boden rutschen konnten, wählte die fünf größten aus und legte sie nacheinander ins Feuer. Lilith verfolgte die Funken, die zwischen den bloßen Füßen des Mädchens niedergingen, was diese nicht im Geringsten zu stören schien.
    »Das ist Yanka«, erklärte der Mann, der bemerkte, wie Lilith sie ansah. Dann zeigte er auf die zwei Jungen. »Und das sind Lemún und Nahuel.«
    »Und wer bist du?«
    »Und wer sind Sie, Lilith«, verbesserte sie Eva.
    »Und wer sind Sie?«
    »Cumín.«
    »Und was bedeutet der Name?«
    »Woher weißt du denn, dass er etwas bedeutet?«
    »Komische Namen haben immer eine Bedeutung.«
    »Roter Tiger.«
    »Sehen Sie.«
    Cumín erwiderte ihr Lachen. Lilith war die Einzige, für die er Sympathie hatte, und ihre Fragen waren ja nicht böse gemeint. Enzo unterdessen fand keine Ruhe, unentwegt lief er hinter ihnen auf und ab und versuchte, seinen Jüngsten zu beruhigen, der nicht aufhörte zu weinen, seit sie das Auto verlassen hatten. Alles jagte dem Kleinen Angst ein: das Gewitter, der Hagel, die Hunde, die Blicke der vielen fremden Leute … Auch Liliths älterer Bruder war eingeschüchtert. Er hatte sich neben der Eingangstür postiert und schien bereit, jederzeit das Weite zu suchen.
    »Langsam wird’s dunkel, Papa«, bemerkte Tomás in einen der vielen Momente des Schweigens hinein. Die beiden Brüder, die Tomás schon eine ganze Weile beäugten wie zwei wilde Katzen eine Stadtmaus, grinsten spöttisch; natürlich war der Himmel schon seit Stunden dunkel. Doch Tomás meinte etwas anderes. Bald würde die Nacht hereinbrechen.
    »Du hast doch gesagt, die Strecke ist nachts nicht befahrbar.«
    »Ich weiß selber, was ich gesagt habe, Tomás!«
    Der laute Wortwechsel hatte zur Folge, dass der Kleine aufschluchzte. Enzo war am Ende seiner Kräfte und übergab ihn Eva.
    »Seit fünf Jahren fahren wir diese Strecke, hin und wieder zurück, fünf Jahre, und kein einziges Mal gab es Regen …«
    »Reg dich nicht auf, Enzo.«
    »Haben Sie jemals Hagel gesehen, Cumín?«
    »Hier? Nein.«
    Ein Donnerschlag krönte seine Worte, und gleich darauf setzte das laut klagende Geheul eines Hundes

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