Wakolda (German Edition)
davon erzählt«, erklärte José auf Deutsch und versenkte einen Silberlöffel in der Zuckerdose.
»Wann kommt denn nun Ihre Frau?«, erkundigte sich Eva.
Enzo warf ihr einen finsteren Blick zu, woraufhin sie die Frage auf Spanisch wiederholte.
»Sobald ich eine Unterkunft gefunden habe.«
José blickte Liliths Eltern an, als seien nun sie am Zuge.
»Haben Sie mittlerweile eine Entscheidung gefällt?«
»Das Haus ist frühestens in zwei Wochen fertig.«
»Alles, was ich brauche, ist ein Zimmer mit genau diesem Ausblick.«
»Hatten Sie nicht schon eine Unterkunft?«, meinte Enzo.
»Doch, doch. Aber es ist einfach kein Vergleich.«
Da die anderen schwiegen, versuchte José, seinen Einsatz zu verdoppeln:
»Ich habe mir Hotels, Pensionen und Mietwohnungen angesehen. Nirgendwo ist es so einladend wie bei Ihnen. Mir ist sehr daran gelegen, dass sich meine Frau wohlfühlt, wissen Sie. Unser Leben ist in den letzten Monaten sehr anstrengend gewesen, wir brauchen ein wenig Ruhe. Ich zahle, was immer Sie verlangen. Daran soll es nicht liegen. Ich kann auch im Voraus bezahlen. Sechs Monate.«
Er zog ein Bündel argentinischer Pesos aus der Tasche und legte es mitten auf den Tisch. Eva nahm einen Schluck Tee und starrte auf die Scheine. Sie musste das Geld nicht zählen, um zu wissen, dass sie damit die Schulden der letzten Monate begleichen und die Wochen überbrücken konnten, bis der Pensionsbetrieb anlief. Lilith hielt den Atem an. Eva dachte an ihren Albtraum.
»Sagen Sie Ihrer Frau, sie ist willkommen.«
José bedachte alle mit seinem eisigen Lächeln.
»Es ist mir eine Ehre, Ihr erster Gast zu sein.«
»Haben Sie Gepäck?«
»Im Wagen.«
»Ich hole es«, brummte Enzo und verließ den Raum.
Eva nahm das Geld an sich und stand auf.
»Kommen Sie«, sagte sie wieder auf Deutsch. »Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
Zwar begannen ihre Beine am Kaminfeuer langsam zu glühen, doch Lilith rührte sich nicht von der Stelle. Sie war einen Moment wie starr vor Freude. José und ihre Mutter liefen die Treppe hoch und betraten den für Gäste reservierten Flügel des Hauses. In der Dunkelheit des Flurs konnte José Evas Körper unauffällig in Augenschein nehmen. Die schwere Sinnlichkeit schwangerer Frauen faszinierte ihn.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
Eva nickte.
»Sind Sie sicher, dass Sie in der achtzehnten Woche sind?«
»Das hat jedenfalls der Arzt gesagt.«
»Mir scheint das Kind sehr groß … War das bei den anderen genauso?«
»Bei Tomás und dem Kleinen, ja.«
»Und bei Lilith?«
»Sie ist ein Siebenmonatskind.«
Sie blieb vor einer Tür aus Zedernholz stehen. José warf einen Blick in das kleine Zimmer, ein schmales Bett, ein Schreibtisch, der zum See hinaussah. Er trat ein, stieß die Fenster auf, schloss die Augen und atmete tief ein.
»Herrlich …«
Eva war in der Türschwelle stehengeblieben. Er wandte sich zu ihr um.
»Sind Sie hier aufgewachsen?«
»Ich bin hier geboren.«
Irgendetwas am Blick des Deutschen war ihr unangenehm. Schnell legte sie den Zimmerschlüssel auf den Schreibtisch.
»Hier ist Ihr Schlüssel. Morgen richten wir den Speisesaal für die Gäste her. Heute werden Sie noch mit uns zu Abend essen.«
Darauf hatte Enzo bestanden, und Eva war es nur recht gewesen: dass sie nicht zusammen essen würden. Nicht einmal während der zwei Wochen, bis der Speisesaal fertig war. Sie mussten sich frei bewegen können, alles sollte sein wie damals, als Eva noch ein Kind und das elterliche Haus in einen privaten Bereich und einen für die Gäste unterteilt gewesen war. Nun saß José bei ihnen am Tisch und nahm sich angesichts des vor ihm auf dem Tisch stehenden Eintopfs mit Innereien zusammen, so gut er konnte.
Das Fleisch hatte eine gummiartige Konsistenz und ließ ihn würgen. Er täuschte trockenen Husten vor, versteckte sich hinter einem mit seinen Initialen bestickten Stofftaschentuch. Dass jemand kein Fleisch aß, war in diesen Breitengraden mehr als ungewöhnlich. An diesem ersten Abend wollte er das Essen auf keinen Fall verschmähen. Er gab sich bescheiden und freundlich und stellte viele Fragen. Wenn er herausfinden wollte, wieso der Nachwuchs in diesem Haus so unterschiedlich ausfiel, musste er mehr über die Abstammung von Liliths Eltern erfahren. Man erklärte ihm, Lilith habe als Dreijährige eine Lungenentzündung gehabt. Bis heute litt sie an leichtem Asthma. Außerdem hatte man sich daran gewöhnt, dass sie sich schnell erkältete, sich immer wieder eine Angina
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