Wakolda (German Edition)
Schwägerin zwei identische Puppenkleidchen anfertigen lassen, und eine erfahrene Friseuse aus Bariloche hatte für den Haarschopf die schönsten Locken ihrer Tochter geopfert. José drehte und wendete die Doppelgängerin voller Genugtuung, die Operation war gelungen.
»Die Herstellung wird natürlich einiges kosten«, bemerkte der Bekannte und wollte die Sache näher erläutern.
»Geld spielt keine Rolle«, schnitt José ihm das Wort ab und marschierte hinaus.
Er setzte die zwei Puppen auf den Rücksitz seines Chevrolets und vertiefte sich noch einmal in ihre Betrachtung. Sie waren weit entfernt von dem, was ihm vorschwebte, doch das heizte seinen Ehrgeiz nur umso mehr an. Er fühlte sich ganz in seinem Element. Das Haar würde in jedem Fall echt und nicht wie bei der Originalpuppe aus Hanf sein. Und per Hand festgenäht werden. Echte Wimpern, bewegliche Glasaugen, Finger und Hälse, maßgeschneiderte Kleider. Ganz berauscht von der Vorstellung, wie er demnächst Hunderte gleich aussehender, formvollendeter Puppen mit prachtvollen blonden Schöpfen und himmelblauen Augen anfertigen würde, ließ er den Motor an.
Wenn es mit den Kleinen aus Fleisch und Blut so einfach gewesen wäre
… Bei dem Gedanken stockte ihm der Atem.
Als er später vor der Schule auf Lilith und Tomás wartete, ging ihm plötzlich auf, dass die neue Puppe die Krönung all seiner Forschungen, ja die Vervollkommnung einer unsterblichen Gattung war. Erst neulich, als er so niedergeschlagen vor der Bunkerruine stand, hatte er das Gefühl gehabt, seinen Leuten dringend ein Zeichen geben zu müssen. Sie waren immer noch da, waren nur in Winterschlaf gefallen, ihr Unternehmen wirkte fort, und dafür brauchten sie Symbole, die Zuversicht verkörperten.
Lilith und Tomás kamen die Schultreppe hinuntergestürmt, Lilith kletterte gleich auf den Rücksitz, Tomás stieg vorn ein und wandte sich neugierig nach den beiden Puppen um.
»Und – welche ist das Original?«, fragte José.
»Die da.«
José frohlockte, der Junge hatte auf die falsche getippt. Auf dem Heimweg weihte er die Kinder in seine Pläne für die Massenfabrikation ein. Es dämmerte bereits, als sie zur Überraschung der Kinder vor dem unüberwindbaren Grundstückstor des Nachbarn hielten. José hupte mehrmals, bis ein Mann erschien und das Tor öffnete. Er stellte keinerlei Fragen. Der Wagen rollte auf den tannengesäumten Grundstücksweg, Lilith tauschte einen vielsagenden Blick mit ihrem Bruder.
»Was machen wir hier?«, fragte sie.
»Ich bringe einem Freund nur schnell ein Geschenk vorbei«, erklärte José und hielt direkt vor dem Haus.
Die Frau, die sie an der Haustür empfing, trug eine Strickjacke über ihrem Krankenschwesternkittel. Sie begrüßte José auf Deutsch und streifte die Puppe in seiner Hand mit einem verwunderten Lächeln. Dann musterte sie Lilith von Kopf bis Fuß und lächelte abermals. José ließ die Kinder stehen und verschwand mit der Frau in einem labyrinthartigen Flur, von dem, soweit Lilith erkennen konnte, mehrere geschlossene Türen abgingen. Zehn Minuten später tauchte er wieder auf, ohne die Doppelgängerin.
Zurück in der Pension, machte er sich auf die Suche nach Enzo, um ihm einen konkreten Geschäftsplan zu unterbreiten. Er wollte eine von Luneds tüchtigen Cousinen als Näherin einstellen. Normalerweise saß die wortkarge Waliserin den ganzen Tag an der Nähmaschine in der Küche und besserte Kleidung und Bettwäsche aus. Sie war José schon vor einiger Zeit aufgefallen, weil sie mit einer Fertigkeit nähte, als habe sie in einer Schweizer Mädchenschule gelernt. Er brauche jedenfalls unbedingt eine Mitarbeiterin, die seine Ideen ordentlich umsetzte, erklärte er Enzo, und dieser führte ihm sogleich sein neuestes Werk vor: ein Ärmchen mit einer beweglichen Hand, deren winzige rosa Fingerchen sich einzeln bewegen ließen. Josés Vorschlag kam ihm gerade recht: Er war es ohnehin leid, immer nur für die Arbeit in der Pension eingespannt zu werden. Der zukünftige Investor wiederum erklärte, er plane, in der Stadt ein kleines Ladenlokal auf den Namen seines Geschäftspartners anzumieten. Enzo kam es zwar merkwürdig vor, dass der Deutsche nicht selbst als Mieter auftreten wollte, doch er fragte lieber nicht weiter nach.
Er nahm also das Angebot an.
Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er eine wichtige Entscheidung ganz allein getroffen, ohne sich mit seiner Frau zu besprechen. Eva tobte, für die seltsame Puppenleidenschaft ihres Mannes
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