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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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Bauchnabelhöhe auf. José löste einen weiteren Knopf und betupfte die Stelle mit einem alkoholgetränkten Wattebausch.
    »Du wirst lernen müssen, dir die Spritzen selbst zu setzen«, sagte er auf Deutsch.
    Seit einigen Tagen sprach er kein Spanisch mehr mit ihr. Lilith spürte den Piekser, verzog aber keine Miene. Sie griff nach der Kühlbox und erklärte noch schnell, bevor sie den Raum verließ:
    »Heute Abend werden die Zwillinge getauft. Kommen Sie nicht zu spät.«
    Draußen fielen dicke weiße Flocken, Lilith schlug den Kragen hoch und lief zum Auto. Arko ließ sofort den Motor an. Mehrfach suchte Nora im Rückspiegel Liliths Blick. Ihr fiel auf, dass sie sich immer wieder am Bauch kratzte. Auch die kleine Box, die Lilith auf dem Schoß hielt, hatte ihre Neugier geweckt, und als sie auf die Uferstraße des Nahuel Huapi einbogen, fragte sie endlich:
    »Was hast du denn da drin?«
    »Milch. Für meine kleinen Schwestern.«
    Lilith rieb sich erneut den Bauch.
    »Mama pumpt sie sich jeden Tag ab, und José bereitet sie dann auf.«
    »Wer ist denn José?«
    »Der Tierarzt, der bei uns wohnt.«
    Nora schnürte es die Kehle zu.
    Er wäre tatsächlich imstande, seinen echten Namen zu benutzen
, dachte sie.
    Die Liste seiner zahlreichen Decknamen kannte sie inzwischen auswendig: Friedrich Edler von Breitenbach, Helmuth Gregor-Gregori, Karl Geuske, Alfredo Mayen, Fritz Fischer, Walter Hasek, Fausto Rindón, Henrique Wollmann, José Aspiaz, Lars Ballestroem, Ernst Sebastian Alvez … Aber weshalb sollte er nicht auch seinen richtigen Namen verwenden? Zumindest in der spanischen Form. Schließlich hatte Argentinien allen, die unter falschem Namen eingewandert waren, Straffreiheit garantiert. Viele hatten ihre echten Namen wieder angenommen.
    Sie drehte sich zu Lilith um:
    »Sind es Zwillinge?«
    »Ja, eineiige. Sie sind zu früh geboren.«
    »Und wie geht es ihnen jetzt?«
    »Die Kleine, die zu Anfang ganz schwach war, wächst jetzt auf einmal schneller als die andere.«
    Wieder kratzte sich Lilith, der Juckreiz war manchmal kaum auszuhalten.
    »Hast du Schmerzen?«
    »Es juckt nur. Was wehtut, sind die Knochen. Das ist aber ein gutes Zeichen.«
    »Schmerz ist nie ein gutes Zeichen«, entgegnete Nora. Sie brauchte gar nicht nachzufragen, welche Art Zeichen Lilith meinte. Die ganze Zeit musste sie daran denken, dass sie damals so alt gewesen war wie Lilith jetzt; das nahm sie jedenfalls an. Man sah Lilith ja nicht an, dass sie schon bald dreizehn wurde. Mit Noras Körper hatte Mengele schon viel früher angefangen zu experimentieren.
    Gedankenversunken starrte sie auf die ersten Häuser von Belgrano, die hinter den verschneiten Tannen auftauchten. Sie wusste, dass jahrelang niemand genauer nachgefragt hatte, wenn sich ein Fremder in Bariloche niederließ. Ganz im Gegenteil, man empfing die Einwanderer mit offenen Armen, bot ihnen günstige Häuser zum Kauf an, besorgte ihnen Arbeit und Papiere, nahm sie in Clubs auf und lud sie zu Festen ein. Niemand stellte Fragen, keiner wollte wissen, vor wem oder was sie auf der Flucht waren.
    Arko parkte den Wagen vor der Einfahrt zur Pension. Er ahnte, dass er Nora nicht wiedersehen würde, und fragte dennoch:
    »Soll ich auf dich warten?«
    »Danke, das ist nicht nötig«, sagte Nora knapp, streckte ihm die Hand hin und verließ den Wagen. Lilith war schon vorgelaufen und plötzlich nicht mehr zu sehen. Nora steuerte auf das Haus zu, ohne sich noch einmal nach Arko umzudrehen. Ihre Schritte kamen ihm unsicher vor, doch das konnte kaum mehr am Alkohol liegen. Arko hätte sie am liebsten bei den Schultern gepackt und einmal durchgeschüttelt. Ihr gesagt, dass es für ein richtiges Leben noch nicht zu spät war. Wie hätte er ahnen können, dass er sie zwei Tage später in einer Gletscherspalte finden würde, unter dem Schnee begraben mit weit aufgerissenen Augen?

13
    Vor der Pension türmte sich der Schnee, den Tomás zu mehreren Haufen zusammengeschaufelt hatte, um die Auffahrt frei zu halten, dazwischen parkten verschiedene fremde Autos. Vom See her, der inzwischen wieder eisfrei war, zog dichter Nebel auf; der Schnee fiel in dichten Flocken, man sah kaum die Hand vor Augen. Als Lilith den Weg zum Haus entlanglief, fiel ihr Blick auf einen alten Lieferwagen, der mit laufendem Motor und brennenden Scheinwerfern etwas abseits stand. Der Mann am Steuer sah aus wie Cumín, dachte sie im ersten Moment. Aber das konnte ja wohl schlecht sein. Doch dann trat plötzlich Yanka aus dem

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