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Wakolda (German Edition)

Wakolda (German Edition)

Titel: Wakolda (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucia Puenzo
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Tasche und umschloss sie mit der Faust.
    Wer hatte behauptet, dass er so nicht enden würde?
    Der Ford war immer dichter aufgefahren.
    Warum soll es besser sein, alt zu sterben?
    Bis zur Pension hatten sie nicht von ihm abgelassen, doch durch das Tor folgten sie ihm nicht. Im Rückspiegel sah er, dass der Wagen vor der Einfahrt stehengeblieben war.
    Weil man sich sonst um das Vergnügen bringt zuzusehen, wie man alle aufs Glatteis geführt hat
, gab er sich selbst zur Antwort.
Ein perfektes Verbrechen kennt keine Strafe
.
    Doch jetzt ging es um Minuten.
    Er stellte den Motor ab und lauschte der Bergstille um sich herum. Dann lud er den Colt und stieg aus dem Wagen. Er ging davon aus, dass dort draußen noch weitere Wagen patrouillierten, wahrscheinlich war bald die ganze Gegend abgeriegelt, er musste sich beeilen, bald würde die Jagd auf ihn eröffnet werden. Ohne sich seine Eile anmerken zu lassen, schritt er auf das Haus zu. Als er Nora an der Treppe stehen sah, begriff er sofort: Sie warteten auf ihr Zeichen, sie sollte seine Identität bestätigen, dann würden sie ihn holen. Jetzt war also der Moment gekommen, sich aus dem Staub zu machen. Aber das würde er auf seine Art tun, und zwar exakt nach Plan.
    Er ließ Nora und Lilith in der Diele stehen und trat in den Saal, bahnte sich den Weg durch die Gäste, schüttelte Hände, lächelte hier, plauderte dort. Längst war er hier kein Fremder mehr, sondern allseits bekannt und beliebt. Bei denen, die von seiner Identität wussten, ebenso wie bei denen, die nur eine Ahnung hatten, oder denen, die es vorzogen, ahnungslos zu bleiben. Er wandte sich kurz an zwei Männer, die daraufhin sofort den Saal verließen. Dann zog er in aller Seelenruhe eine Tüte Bonbons aus der Tasche und verteilte sie unter den Kindern, die johlend auf ihn zustürmten. Selbst der Pfarrer bot ihm, bevor er noch einmal die Zwillinge segnete, die dank der unerschöpflichen Gnade Gottes und der hohen Kunst der Medizin dem Tode hatten entrissen werden können, einen Platz an seiner Seite an. Nora hingegen war vollauf dadurch in Anspruch genommen, den Ansturm lange verdrängter Erinnerungen niederzuhalten, von denen eine traumatischer war als die andere.
    Sie dachte daran, dass die Kleinsten im Lager ihn
Onkel Mengele
genannt hatten. Dass er immer Süßigkeiten und Spielzeug dabei gehabt hatte. Und sie später persönlich in die Gaskammern gebracht hatte. Lange hatte sie nicht mehr an die rumänischen Zwillinge Ina und Guido gedacht. Onkel Mengele hatte die beiden am Rücken zusammengenäht, wollte so siamesische Zwillinge erschaffen. Die Nahtwunden entzündeten sich schmerzhaft, und die Kinder schrien die ganze Nacht lang wie am Spieß. Ihre Mutter hielt es nicht mehr aus, sie stahl aus der Krankenstation etwas Morphium und tötete die beiden, um ihnen weiteres Leid zu ersparen.
    »Lasset uns beten«, sagte der Pfarrer, und alle erhoben sich. José senkte den Kopf und schloss die Augen. Das Bild der beiden Babys direkt vor Josés Nase war zu viel für Nora. Es drehte ihr den Magen um. Da griff Lilith nach ihrer Hand und zog sie mit sich fort, hinüber in den Gästeflügel. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, was sie tun würde, wenn sie ihren Peiniger endlich aufgespürt hätte. Doch keinen Augenblick hatte sie damit gerechnet, dass sie ihre Gefühle plötzlich nicht mehr im Griff haben würde. Wie auf einer Zeitreise stand sie auf einmal wieder in dem Raum, in dem Mengele seine grausamen Versuche durchführte, nackt zwischen all den anderen Kindern, hilflose Versuchskaninchen, die darauf warteten, dass er ihnen Malaria-, Gelbsucht-, Tetanus-, Gangränoder Typhuserreger spritzte, sie infizierte und vergiftete. Dass er ihnen Gliedmaßen amputierte, um diese einzufrieren, oder ihnen zu Versuchszwecken schlimmste Verbrennungen zufügte …
    Lilith war vor einer geschlossenen Tür stehengeblieben.
    »Was ist das denn?«
    Nora deutete auf die in den Türrahmen geritzten Markierungen. Sie ahnte es.
    »Da kann man sehen, wie groß ich bin.«
    Lilith zeigte auf die unterste Kerbe.
    »So war ich noch vor ein paar Monaten …«
    Lilith sperrte die Tür auf. Nora trat hinter ihr ein und war wie erschlagen. Dutzende Arierpuppen blickten ihr von den Regalen entgegen. Ohne etwas anzurühren, wankte Nora ein paar Schritte durch den Raum. Da war das Bett, in dem José die letzten Monate über geschlafen hatte, und gegenüber der Schreibtisch, von dem aus er den Ausblick auf den Nahuel Huapi genoss.
    »Wann habt

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