Wald der Masken
Schicksals jetzt mehr aufhalten, triumphierte Cobor.
Doch dann tauchte unter ihm eine Felsnase auf. Krant gewahrte sie und schlug seinen freien Arm um den Vorsprung.
*
Cobor kam zu sich, als Krant kletterte. Die Hände des Baummenschen waren zwischen den Zähnen des Marmornen eingeklemmt. Sein Körper hing von den Schultern des Steinernen herunter. Es dauerte eine Weile, bis Cobor begriff, daß er noch lebte. Er war nicht wirklich ohne Bewußtsein gewesen. Es war anders gewesen, wie an der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit.
Cobor fühlte sich vollkommen leer. Die Flamme, die in ihm gebrannt hatte, war erloschen. Er ließ alles mit sich geschehen. Er hatte auf das endgültige Ende gesetzt – und verloren.
Er konnte jetzt weder fühlen noch denken. Krant zog und schob sich an der Steilwand empor, wie lange schon? Seine Kräfte schienen niemals versiegen zu können. Und so ging es weiter, bis irgendwann der Rand des Plateaus erreicht war und der Marmorne den Abenteurer zuerst auf das sichere Gelände schob.
Warum? drängte es sich Cobor wie von weither auf. Warum tut er das?
»Komm mit mir«, sagte Krant. Seine Stimme verriet keine Spur von Erschöpfung. Seine Bewegungen waren so kraftvoll wie gewohnt.
Cobor gehorchte. Er folgte dem Todfeind! Endlich fand er etwas von dem Feuer zurück, das ihn beseelt hatte. Doch nichts schien mehr zusammenzupassen. Hatte Krant ihn nicht gerettet? Hätte er ihn nicht einfach in den Tod stürzen zu lassen brauchen – er, der auch hier zu überleben wußte?
Er will immer noch mit mir spielen! Der Gedanke war schwächer, es war kein wirkliches Gefühl mehr hinter ihm. Etwas war zerbrochen. Nichts schien mehr Sinn zu haben.
Rache?
Das bedeutete Cobor nichts mehr. Er trottete hinter dem Marmornen her, bis Krant vor einem Steinhügel stehenblieb.
Der Marmorne drehte sich zu ihm um. Einer seiner gemaserten Finger berührte die Stirndelle.
»Ich habe deine Worte verstanden, bevor du kämpfen wolltest«, sagte Krant. »Das haben dir Steinerne wie ich angetan. Und wenn es so war, dann waren es«, er deutete auf den Hügel, »jene drei Menschenwesen, die dem Überfall nicht wie du entkommen konnten.«
Cobor begriff nichts. Er starrte sein Gegenüber nur an.
»Wir sind nicht mehr viele«, sagte Krant. »Ich habe den letzten von meiner Art vor langen Jahren gesehen, weit fort von hier. Doch ich sah, wie drei Steinerne vier Menschen überfielen und sie bis auf einen töteten. Ich verfolgte den Überlebenden – dich, Cobor. Ich weiß, daß ich auch dich umgebracht hätte, wäre nicht zwischen uns eine Bodenspalte mit giftigem Schwefeldampf aufgebrochen. Nur so konntest du in den Hinterwald fliehen.«
Krant legte einige Steine, die offenbar mit der Zeit heruntergefallen waren, auf den Hügel zurück. Seine Bewegungen wirkten fast andächtig.
»Ich kehrte zum Schauplatz des Kampfes zurück, Mensch. Ich sah, daß eines der Menschenwesen noch lebte, und hatte schon die Faust erhoben, um ihm den Garaus zu machen.«
Londa! durchzuckte es Cobor. Oder eines der Kinder?
»Aber dann mußte ich erkennen, daß auch ihr Menschen leidet. Die Aegyr zeigten uns niemals ihre Gefühle. Wir waren für sie Kreaturen, die nur einem Zweck dienten und die, nachdem sie ihn erfüllt hatten, lästiges Geschmeiß waren. Wir lernten sie hassen, Cobor, und deshalb verstehe ich auch deinen Haß. Ich kam, um zu töten, aber ich lernte zu verstehen. Ich konnte dem Menschenwesen nicht mehr helfen, als ich von einem Gefühl erfaßt wurde, das ich bis dahin nie kannte. Denn ich sah das Wesen leiden, so wie wir Steinerne immer zu leiden hatten. Es sagte mir sterbend seinen Namen. Um es und die beiden kleineren vor den schwarzen Vögeln zu schützen, begrub ich sie unter diesen Steinen.«
Londa!
Cobor flüsterte den Namen. Krant nickte. Der Baummensch sah sich um und wußte jetzt, woher ihm die Umgebung vertraut vorgekommen war. Genau an diesem Ort hatte der Überfall stattgefunden.
Krant wischte mit der flachen Hand durch die Luft.
»Aber dann streifte ich wieder durch die endlose Einöde unseres Gefängnisses, des Marmorbruchs, in den wir durch die Magie der Aegyr für immer verbannt waren. Hier, so wollten sie es, sollten wir für alle Zeiten umherirren und niemals unseren Frieden finden. Viele versuchten, sich das Leben aus Stein und Zauberkraft zu nehmen. Einige wenige schafften es. Frage mich nicht danach, wie. Ich kann dir nur sagen, daß mich selbst der Sturz in den Abgrund nicht von dem Fluch
Weitere Kostenlose Bücher