Wald der Masken
drohte ihn die Müdigkeit zu übermannen. Er setzte sich hin und starrte in die Dunkelheit, bis ihm die Augen zufielen und er in das dunkle Feuer sah, aus denen die grinsenden Masken sich schälten. Er sprang auf und verscheuchte den Alpdruck, indem er rannte, bis ihm die Luft ausging.
Irgendwann wurde ihm klar, daß es keine Flucht für ihn gab. Mit seinem Schwur hatte er den Fluch auf sich geladen, und er würde ihn verfolgen, bis er Oggryms Totenmaske fand.
Aber wie und wo? Was hatte er erwartet? Hätte Oggrym ihm sein Versprechen abgenommen, wenn er nicht gewußt hätte, daß er seine Maske finden würde?
Oder sie ihn?
Mythor blieb stehen.
Vielleicht versteifte er sich zu sehr auf die Vorstellung, die Maske in irgendwelchen Verstecken suchen zu müssen. Welche Verstecke gab es hier schon? Längst überwucherte Bodengruben?
Vielleicht mußte er sich nur öffnen. Er versuchte es und spürte, wie sich sein Geist sofort wieder verschloß. Es war die Furcht vor den Traumbildern. Mythor kämpfte dagegen an. Ihm wurde heiß, er begann zu schwitzen. Er versuchte sich einzureden, daß es aus jedem Traum auch wieder ein Erwachen geben mußte – so schrecklich er auch immer sein mochte. Erst wenn er den Mut aufbrachte, sich ihm zu stellen, konnte er auch Erfolg haben. Und vielleicht führte ein Traum ihn zu den Verstecken.
Mythor lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und schloß die Augen. Er wartete auf die Bilder und war bereit, ihre Herausforderung anzunehmen.
Er wußte nicht, wieviel Zeit so vergangen war, ohne daß ihm die Visionen erschienen. Doch dafür glaubte er plötzlich, etwas zu hören.
Es war wie eine klagende Stimme, die ein Wind von weither herantrieb. Mythor drehte sich und versuchte, die Richtung zu bestimmen. Die Stimme schien von überallher zu kommen, als seufzte der ganze Wald. Erst nachdem Mythor jeweils ein gutes Stück in verschiedene Richtungen gegangen war, glaubte er, die Spur gefunden zu haben.
Hier wurde die Stimme schwächer, dort stärker. Mythor verließ sich nur auf diesen Anhaltspunkt, und bald war das Klagen so deutlich, daß er damit rechnete, der Rufer müßte jeden Augenblick direkt vor ihm aus dem Boden wachsen.
Für einen Moment dachte er: Falls ich Oggryms Maske jetzt finde – was hat er erwartet, daß ich mit ihr tue? Was meinte er damit, ich solle mich ihrer annehmen?
Das Klagen war herzzerreißend. Es klang gerade so, als habe ein gefangener Geist eine Ewigkeit lang darauf gewartet, von einem Menschen entdeckt und befreit zu werden.
Die Stimme rief: »Siehst du mich denn nicht? Dreh dich um!«
Mythor tat es ganz langsam. Ihm war plötzlich wieder eiskalt. Und dann sah er die Totenmaske.
Sie war ganz aus Silber und zeigte ein mit vielen Ornamenten verziertes, edles Gesicht. Sie leuchtete in Kopf höhe vom Stamm eines mächtigen Laubbaums, in dessen Rinde sie eingelassen und von der sie an den Rändern bereits halb überwachsen war.
Mythor holte tief Luft. Von der Maske wirkte eine seltsame Magie auf ihn. Fast konnte er sich den erhabenen Ritter bildlich vorstellen, der sie von seinen Zügen hatte nehmen lassen, und der nach seinem Tod im Kampf in sie übergewechselt war.
Hier lebte sein Geist weiter. Doch wessen Geist war es? Das außen auf der Maske wiedergegebene Gesicht war durch die Verschmückungen zu verfremdet, um erkennen zu lassen, daß es Oggryms war.
Mythor hatte unwillkürlich einen Schritt zurück gemacht. Nun flehte die Maske:
»Geh nicht wieder fort! Wie lange sehnte ich mich danach, zu einem Menschen sprechen zu können. Sage mir, wie du heißt, Wanderer.«
Die Stimme kam wie aus dem Nichts. Mythor bezweifelte sogar, daß sie von irgendeinem anderen als von ihm gehört werden konnte.
Er nannte seinen Namen.
»Mythor«, wiederholte die Maske langsamer. »Ja, Mythor…«
Eine verzweifelte Hoffnung flammte in dem Mann ohne Erinnerung auf.
»Du hast meinen Namen schon einmal gehört, Aegyr? Du weißt, wer ich bin?«
»Du bist Mythor. Der Name hat einen guten Klang, aber sagen tut er mir nichts. Warum fragst du?«
Mythor antwortete nicht.
»So bist du ein Einsamer wie ich? Oh, wie hoffe ich auf eine Erlösung. Wie klug glaubten wir zu sein, als wir die Totenmasken von uns abnehmen ließen, um unserem entflüchtenden Geist nach dem Tod des Körpers eine Zuflucht zu schaffen. Wir wollten ihn überlisten, den düsteren Gevatter, und das ist uns gelungen. Sag an, Mythor, hast du von dem grausamen Schicksal des Gesed te Ruuta gehört,
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