Wald
im Schnee kommt näher.
»Sidus?«
Envins Rufe sind jetzt ganz nah. Er darf das Trugbild nicht sehen!
Es ist mein Hirngespinnst!
»Was denke ich für einen Schwachsinn!«
Das Spiegelbild kichert.
Sidus wird schwarz vor Augen.
»Was machst Du denn da?«
Envins Worte reißen seinen Kopf herum.
»Was?«
»Nun ja, warum wedelst Du mitten im Wald mit deinem Schwert rum?«
Sidus sieht sich um.
Wo ist der Verfolger hin? Hat sich dort hinten im Gebüsch gerade etwas bewegt? Ist er dort hin verschwunden? Er lässt seine Waffe absinken, dann blickt er wieder zu Envin und schnappt nach Luft.
»Es ist nichts --- nichts ---«
»Alles in Ordnung mit Dir Bruder?«
»Es geht schon ---«
Das Schwert fällt Sidus erschöpft aus der Hand. Er hat Glück gehabt. Envin scheint seinen Doppelgänger nicht gesehen zu haben.
»Schmuckstücke«
»Es war da dieser Ritter, vor gar nicht langer Zeit. Der kehrte all seiner Gedanken Sinn auf die Minne zu einer würdigen Gräfin. Sein Ruhm war gewaltig, da er unentwegt turnierte und im Land Gaben verteilte. Doch obwohl sein Ansehen hoch war und er beständig war, und der Dame stets gedient hatte, blieb sie ihm die Belohnung schuldig.
Also wurde er sehr traurig und quälte sich tagelang, bis er schließlich zu ihr ritt, um ein letztes Mal um ihre Gunst zu bitten. Die Dame erbarmte sich über ihn, aber stellte ihm auch eine Bedingung. Er sollte ihr zu Ehren ein Turnier auf ihrer Stammburg ausrichten, da sie noch nie einem solchen beiwohnen durfte. Erst danach wollte sie ihn erhören. Der edle Ritter tat, wie ihm befohlen wurde, und organisierte das Spektakel. Und als der Tag gekommen war, zeigte der Ritter seinen tapferen Mut. Einen nach dem Anderen stach er vom Pferd, bis nur noch leere Rosse ohne Reiter umherliefen, als wäre der Turnierplatz ein Gestüt. Der Burgherr hingegen, der Ehemann der schönen Gräfin, tötete mit der Lanze einen Mann, worauf er sehr betrübt wurde und sich voller Schamgefühlen in seine Gemächer zurückzog.
Der Ritter aber hatte endlich erreicht, was er wollte. Eine Zofe brachte ihn in ein vorbereitetes Schlafgemach und wartete dort mit ihm auf ihre Herrin. Aber der Ritter war natürlich müde, da er zuvor nächtelang wach lag und darüber nachdachte, wie er bei dem Turnier das größte Ansehen gewinnen könnte. So schlief er ein, und als die Gräfin endlich kam, ruhte er tief und fest. Anstatt ihn zu wecken, freute sie sich, da es sie mittlerweile ärgerte, dass sie sich so sehr der Minne unterworfen hatte. Sie hatte Angst davor ihr Ansehen zu verlieren, falls jemand von ihrer Liebelei erfahren sollte.
Schnellen Schrittes kehrte sie zurück ins Bett ihres Gemahls und ließ den armen Krieger zurück. Und als dieser aus seinen unruhigen Träumen erwachte, ließ der sich von der Zofe zu den Gemächern des Grafen geleiten, stürmte hinein und weckte ihn und seine Frau.
Er gab sich als Geist des vom Grafen getöteten Turnierteilnehmer aus, worauf der Burgherr sich vor Schreck das Schienbein stieß und ohnmächtig zu Boden sank, wo er den Rest der Nacht liegen blieb. Und der Ritter sah ja auch grauenerregend aus in diesem Moment.
Schwerthiebe hatten ihn mitgenommen, sodass ihm von der Stirn das Blut bis zu den Augen gelaufen war und an den Brauen hing. Sein Wams war ebenfalls zerfetzt und blutig. Trotzdem nutzte er die Situation aus und stieg ins Bett, an die vorgewärmte Seite, wo eben noch der Graf gelegen hatte. Da sagte die Gräfin ihm, er sei der kühnste Mann, von dem sie je Kunde vernahm, und ließ es mit sich geschehen. Sie küsste ihn innig und er sie zurück, gesprochen hat er jedoch nichts, egal was sie ihn fragte.
Als es vorüber war stand er sofort auf, beklagte sich noch einmal über den lästerbaren Raub der Belohnung, den sie an ihm veranstalten wollte, und nahm für immer Abschied. Die Gräfin aber kümmerte sich um ihren Mann.
In der kommenden Zeit erkaufte sich der Ritter durch eine Menge gute Taten viel Lob und Ehre. Da bereute die Gräfin es sehr, da man so viel über den Wert des Ritters sprach, dass ihm durch sie Böses geschehen war. Und sie stand oft alleine auf den Burgmauern und klagte sich selbst ihr Leid, dass sie nie wieder einen Mann finden würde, der besser oder schöner wäre.«
Mit diesen Worten beendet sie die Geschichte, die sie bei einem fahrenden Musikanten in der Stadt aufgeschnappt hatte. Kralin, die Zofe mit den dünnen Beinen und knochigen Armen, steht hinter der sitzenden Llyle und bürstet ihr die
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