Waldos Lied (German Edition)
Und er suchte nun den meinen. Denn im Januar ist Hoftag in Tribur. Und einige der Fürsten haben beschlossen, Heinrich dort dazu zu zwingen, seine falschen Ratgeber vom Hof zu vertreiben und Bischof Anno an den Hof zu holen.«
»Das ist ja Verrat! Heinrich wird Anno niemals freiwillig wieder zu sich holen. Er war schließlich das Haupt jener Gruppe von Fürsten, die ihn einst entführten. Ihr habt ihn nicht gesehen bei seiner Schwertleite, aber ich! « brach es aus mir heraus.
»Hüte deine Zunge, Waldo, mein Sohn, bevor du einen Mann wie mich oder deinen Herrn als Verräter bezeichnest. Verrat wäre es, wollten wir Böses für unseren König, den Gott schützen möge, und das Reich«, wies mich Warinharius scharf zurecht. »Fast scheint es mir, ich hätte dir gegenüber besser schweigen sollen. Doch ich hoffte auf dein Verständnis, deinen Verstand, deine Treue zur Kirche — und auf deine Hilfe.«
Ich schämte mich, dass ich den guten Vater Abt so beleidigt hatte. Dann drang auch der zweite Teil seiner Rüge in meinen Verstand vor. »Auf meine Hilfe? «
Warinharius sah meine Zerknirschung und war etwas besänftigt. »Noch ist Rudolf unentschieden, welche Partei er in Tribur unterstützen soll. Vielleicht fragt er auch dich um Rat. Denn er hält viel von deinem Verstand. Verstehst du, mein Sohn, es ist von größter Wichtigkeit, diesen mächtigen Fürsten des Reiches für die gerechte Sache der Kirche zu gewinnen.«
So eindringlich hatte Warinharius noch nie zu mir gesprochen. Auch wenn ich noch nicht einmal selbst wusste, was ich davon halten sollte, wusste ich doch eines mit absoluter Sicherheit: Warinharius bildete sich seine Meinung nicht unbesonnen, und er machte sich wirklich große Sorgen um die Zukunft des Reiches und der Kirche. Ich war völlig aufgewühlt. Zum ersten Mal fühlte ich mich als Mann, dessen Wort etwas galt, und spielte eine Rolle in dieser Welt. Warinharius vertraute mir, traute es mir sogar zu, den Sinn Herzog Rudolfs zu beeinflussen. Und ich vertraute Warinharius.
Aber da war noch etwas. Jenes dumme, kindische Gefühl von Macht, das mich wie ein Rausch packte. Die Macht, das Schicksal der Menschen und auch des Reiches zu beeinflussen.
Schnell ging mir das Unziemliche dieser Gedanken auf. »Du tumber Tor, wieviel hast du noch zu lernen«, schalt ich mich innerlich selbst. »Du versuchst zu fliegen, bevor du noch Flügel hast.«
Ich beugte meine Knie vor dem Mann, der mir einst das Leben gerettet hatte. »Verzeiht mir, Vater Abt«, murmelte ich demütig. »Ich werde tun, was ich kann, falls mein Herr Rudolf mich zu sich ruft. Vergebt mir meinen Hochmut und segnet mich.«
Warinharius machte das Zeichen des Kreuzes über meinem Scheitel. »Mir scheint, wir bürden dir zuviel Verantwortung auf, mein Sohn«, murmelte er und zog mich an seine Brust. Das hatte er noch nie getan. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wirklich, als hätte ich einen Vater. Als würde ein leerer, sehnsuchtsvoller Ort in meinem Herzen plötzlich von großem Glück erfüllt.
Es geschah nicht, wie der Abt von St. Blasien vermutet hatte. Rudolf ließ mich nicht rufen, fragte mich nicht um meinen Rat. Nur wenige Tage nach dem Jahreswechsel brach er mit einer großen Dienerschar schon frühzeitig zum Hoftag nach Tribur auf. Graf Werner von Habsburg willigte als Verwandter des Herzogs ein, bis zur Rückkehr Rudolfs die Burg auf dem Stein und seine Familie zu beschützen. Mir stellte der Rheinfelder frei, ob ich mitkommen wolle oder nicht. Ich zog es vor, auf der Burg zu bleiben. Mein Stolz war gekränkt. Ich fühlte mich um die Rolle betrogen, die Abt Warinharius mir eigentlich zugedacht hatte. Doch noch etwas hielt mich in der Burg im Rhein: dieses übermächtige Gefühl für Adelheid von Rheinfelden. Ich hoffte auf ihre Nähe, darauf, ihr beistehen zu können. Doch sie ließ mich nicht wieder zu sich rufen, was mich sehr betrübte. Und wenn sie dann doch einmal im großen Saal erschien, widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit Graf Werner und seiner Gemahlin Reginlind.
Der Graf war ein schon etwas bejahrter Mann von hohen geistigen Gaben. Er war nachsichtig zu seinem jungen Eheweib Reginlind und begegnete der Herzogin mit Achtung. Selbst mir, dem Zwerg, lächelte er freundlich zu, wenn er mich sah. Meine verkrüppelten Beine schien er nicht einmal wahrzunehmen. Graf Werner verurteilte nicht, er urteilte. Seine blauen Augen, von Falten umkränzt, blickten freundlich und offen in die Welt. Mit ihm als Hüter
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