Waldos Lied (German Edition)
machtlos war, als dass der König sich die Mühe machen würde, mich hinterrücks umbringen zu lassen.
Die königliche Pfalz Tribur hatte für die Vermählung Heinrichs mit Bertha von Turin ihr Festtagsgewand angelegt. Auch Herzogin Adelheid war inzwischen eingetroffen, um ihrer Schwester an diesem großen Tag beizustehen. Mein Herz schlug heftig, als ich ihrer ansichtig wurde. Ich sah viele edle und schöne Frauen in diesen Tagen. Doch vor meinen Augen vermochte keine andere zu bestehen.
Am Morgen der Trauung fanden sich alle Verwandten des Königs und der künftigen Königin im stolzen Gotteshaus zu Tribur ein. Agnes von Burgund, die Mutter des Königs, hatte sogar den langen Weg aus dem Kloster Fruttuaria auf sich genommen. Adelheid von Turin, die Mutter der Braut und meiner Herzogin, war ebenfalls angereist und erregte mit ihrem reichen Schmuck für viel Staunen bei den Menschen. Sie war eine Frau von edler Haltung und mit strengen Zügen. In ihrer Jugend musste sie sehr schön gewesen sein. Doch das Alter und die Widrigkeiten des Lebens hatten den Liebreiz der Jugend in Strenge und Hagerkeit verwandelt. Auch Erzbischöfe, Bischöfe, Herzöge, Fürsten, Edle und Ritter des Reiches waren in großer Zahl und mit viel Prunk und Gefolge erschienen. Ich sah die Kirchenfürsten von Mainz, Köln, von Halberstadt, Bamberg, Otto von Northeim, den Herzog von Baiern, die Grafen von Stade und noch viele andere. Sie alle zu nennen, würde zu lange dauern. Einer unter diesen prächtig und bunt herausgeputzten Festgästen fiel besonders auf. Er war vergleichsweise einfach gekleidet und strahlte große Bescheidenheit aus, Herzensgüte und Demut. Durch sein Wesen wirkte er auf mich um vieles edler als so mancher der hochfahrenden Adligen, die ich an diesem Tag beobachtete. Es war Abt Hugo von Cluny, der Pate des Königs. Ich sah ihn immer wieder mit einfachen Menschen aus dem Volk sprechen. Denn auch dieses war in großer Zahl in die Pfalz geströmt, um an dem besonderen Festtag dabei zu sein. Die Pfalz konnte die Menge überhaupt nicht fassen.
Ich hatte mich — in Erinnerung an das übel verlaufene Gespräch mit dem König — schon lange vor der Hochzeitszeremonie in eine Ecke des Gotteshauses verzogen, von der aus ich zwar einigermaßen gut sehen konnte, aber nicht so schnell bemerkt wurde. Herzog Rudolf und seine Gattin hatten zusammen mit den anderen Verwandten einen Kreis um das junge Paar gebildet. Abt Hugo von Cluny befragte daraufhin anstelle von Heinrichs verstorbenem Vater die Verlobten in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise, ob sie mit der Schließung der Ehe einverstanden seien. Bertha von Turin gab ihr Jawort so leise, dass ich es nicht hörte. Heinrich bestätigte sein Recht als ihr oberster Herr und Herrscher durch das Ergreifen ihrer Hand. Danach knieten alle nieder. Denn nun segnete der Propst von Tribur mit bewegter Stimme diesen Bund. Ich hörte so manches Weib schluchzen. Und auch einigen Edlen standen die Tränen in den Augen. Nur Heinrichs Gesicht blieb steinern.
Der König würdigte seine neue Gemahlin keines Blickes, als sich der fast endlose Zug formierte, um Bertha von Turin ins Haus ihres Gemahls zu geleiten, wo das Festmahl schon vorbereitet war. Auf seiner Stirn trug er die königliche Krone. Der mit Edelsteinen und Perlen bestickte Mantel war so lang, dass sein Saum hinter ihm über den Boden strich.
Bertha von Turin war ein schüchtern wirkendes Mädchen, fast ein Kind noch und um einige Jahre jünger als die Gattin Rudolfs. Sie hatte nur wenig von der Anmut und dem Liebreiz meiner Herzogin. Ihr braunes Haar war kunstvoll geflochten und mit bunten Bändern, Blumen und Edelsteinen geschmückt worden. Als sie sich nach dem Segen erhoben hatte, war ihr der Schleier der verheirateten Frauen über das Haar gelegt worden. Er war zwar durchsichtig, doch ihr Gesicht war nur als Schemen zu erkennen.
Sie trug ein weißes und am Saum ebenfalls reich mit Goldfäden und Juwelen besticktes Untergewand aus einem glatten, seidigen Gewebe, das Atlas genannt wird, und darüber ein eng anliegendes Oberkleid aus leuchtendblauem, mit Gold- und Silberfäden durchwirktem Brokat, also in jener Farbe, die Liebe, Stetigkeit und Treue symbolisiert. Es war nach der neuen Mode aus dem Land der Kaiserinwitwe Agnes gefertigt. Über ihre Schultern war ein kostbarer Mantel aus rot und blau gestreiftem Scharlach mit langer Schleppe gelegt, dem kostbaren Stoff aus der zartesten Wolle der Schafe, der an der rechten Seite
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