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Waldstadt

Waldstadt

Titel: Waldstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
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er wieder zu und legte sich der Länge nach auf sein Bett. Er streckte die rechte Hand zur Beintasche seiner geliebten Jack-Wolfskin-Outdoorhose und öffnete den Druckknopf. Wie so oft berührte er das zusammengerollte Metall und fühlte den wohligen Schauer, der sich vom Magen her über seinen ganzen Körper ausbreitete. Die Fingerspitzen tasteten auch über die beiden Hölzchen. Dünn, aber dennoch stabil – deutlich fühlten die Fingerkuppen jeweils vier Lackringe. Das Anfassen genügte ihm, er brauchte es nicht einmal zu sehen. Weiß, gelb, rot und grün waren die Farben der Ringe. Blau, violett und schwarz fehlten noch. Fest drückte er den Knopf wieder zu.
    Er war stolz – einzigartig, was er vollbracht hatte. Immer noch bewunderte er sich für seine Idee mit dem anonym eingeworfenen Zettel. Endlich kam seinen Taten die gebührende Aufmerksamkeit zu. Gut, dass der alte Computer immer noch hier in seinem Jugendzimmer stand. Seit dem Abitur hatte er ihn nur ganz selten benutzt, doch jetzt war er zu neuen Ehren gekommen.
    Drei fehlten noch zu sieben, zum Ziel. Er schloss die Augen und malte sich aus, wie es weitergehen sollte. Auf jeden Fall in Karlsruhe. Übermorgen wollte er wieder fahren. Zurück in die Anonymität der Großstadt, wo er fast niemanden kannte. Zurück in seine kleine Dachwohnung in der Waldstadt, wo er dem freundlichen rundlichen Kommissar, dessen Pfeifenduft er so gerne roch, öfter mal im Treppenhaus begegnete. Das reizte ihn besonders.
     
     
    Ein Sonnenstrahl weckte ihn. Erschrocken schaute er auf seine Armbanduhr. Schon halb 12! Er musste eingeschlafen sein über den Phantasien, in denen er sich Szenarien von zukünftigen Taten vorstellte. Drei Mal noch – danach wollte er aufhören. Manchmal bekam er leise Zweifel, ob er es dann tatsächlich schaffen könnte. Das berauschende Gefühl, die Hochstimmung, der wohlige Schauer bis in die Zehenspitzen – würde er darauf verzichten können?
    Mit einem Satz schwang er sich vom Bett herunter. Seine Mutter hatte ihn nicht gestört, so rücksichtsvoll war sie. Wie schon immer, vorsichtig, zurückhaltend, verständnisvoll, freundlich zu jedem, immer leise und einsteckend, niemals laut und austeilend. So vieles hatte sie erduldet.
    Er erinnerte sich noch genau an früher. Oft konnte sie vor Schmerzen kaum gehen. Die Blutergüsse verbarg sie unter dunkler Kleidung. Manchmal blieb sie wochenlang im Haus, bis die blauen Flecke in ihrem Gesicht wieder abgeklungen waren. Die Einkäufe musste er dann immer machen. Trotzdem hatte sie nie gewagt, sich aufzulehnen, und ihrem Sohn immer nur beschwichtigende Antworten gegeben, wenn er fragte.
    Warum verspürte seine Mutter keine Erleichterung, als der Vater tot war? Später, mit 15, 16, versuchte er wieder und wieder, mit ihr darüber zu sprechen – sie antwortete immer ausweichend.
    Einmal war sie nicht zu Hause gewesen, als er von der Schule heimkam. Eine Großtante, die er kaum kannte, hatte ihn damals erwartet und vom Unfall berichtet. »Ein Wunder, dass deine Mutter noch lebt. Wie man auch einen so großen Lastwagen übersehen kann …?« Elf Wochen musste er damals im Murgtal auf dem verlotterten Bauernhof dieser harten und wortkargen Verwandten wohnen und durfte seine Mutter zuerst gar nicht im Krankenhaus besuchen. Später wurde er ein zweites Mal für längere Zeit dort untergebracht, weil die Mama monatelang zur Kur war.
    Als sie wieder zurückkam, schaute sie noch trauriger drein, war oft beim Arzt und bekam immer mehr Medikamente verschrieben. Heimlich las er die Beipackzettel, aber erst als er schon in der Oberstufe war, begann er, ihre Krankheit zu verstehen.
    Er schaute schnell in den Spiegel und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sie sollte nicht sehen, dass er den halben Vormittag verschlafen hatte.
    Leise öffnete er die Zimmertür und stieg vorsichtig die steile Treppe hinunter. Er lauschte. Alles still. In der Küche war sie nicht. Die Brötchentüte lag unberührt auf dem Tisch. Die Wohnzimmertür war geschlossen. Er schaute hinein – nichts. Er klopfte an ihr Schlafzimmer. Keine Antwort. Er klopfte lauter, wartete, drückte die Klinke nach unten, öffnete langsam – das Bett war gemacht.
    Ein beklemmendes Gefühl stieg in ihm hoch, er nahm zwei Stufen auf einmal nach oben, stieß die rohe Holztür zum Wäscheboden auf. Nichts! Mehr Räume gab es nicht im Haus.
    Vielleicht war sie zum Arzt? Einkaufen? Die Angst schnürte ihm die Luft ab. Er sah, dass seine Mutter nicht

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