Waldstadt
führte und die explosive Stimmung noch mehr anheizte. Wildeste Spekulationen und Theorien über die Zusammenhänge der Verbrechen machten die Runde.
»Vier Morde innerhalb von wenigen Wochen – seit wann wissen Sie, dass es sich um denselben Täter handelt?«
»Welche Art von Schlinge hat er benutzt?«
»Weshalb wurde die Öffentlichkeit über die Verbindung zu den Karlsruher Morden bis jetzt noch nicht informiert?«
»Verbringt ein gefährlicher Serienmörder gerade seinen Urlaub im Schwarzwald?«
»Welche Ermittlungsergebnisse haben Sie bereits?«
»Was wird getan, um die Feriengäste und die Bevölkerung zu schützen?«
»Wurde das Landeskriminalamt schon eingeschaltet?«
»Wann werden unsere Wälder wieder sicher sein?«
Die beiden leitenden Kommissare taten ihr Möglichstes, um die erhitzten Medienvertreter zu informieren, zu besänftigen und gleichzeitig die bisherige Vorgehensweise zu rechtfertigen. Sie berichteten von der intensiven gemeinsamen Arbeit der beiden kopfstarken Sonderkommissionen, über Hunderte von Spuren, denen man in Karlsruhe schon gefolgt war, und vom Einsatz eines spezialisierten Polizeipsychologen zur Erstellung des Täterprofils.
Der smarte Staatsanwalt allerdings beeilte sich mehrfach, dezidiert festzustellen, dass die mangelnde Aufklärung der Bevölkerung keinesfalls von seiner Behörde zu verantworten sei und schob den schwarzen Peter für dieses Vorgehen eindeutig in Lindts Richtung.
Die Erlösung aus dieser unangenehmen Situation kam schlagartig. Ein greller Blitz fuhr nur wenige 100 Meter entfernt vom Himmel – fast zeitgleich krachender Donnerschlag. Voller Panik flüchteten alle in die Fahrzeuge.
Die Kritik an seiner Arbeit wurmte Lindt mächtig. Für die Heimfahrt ließ er Paul Wellmann ans Steuer. Er selbst setzte sich auf die bequeme Rückbank des ausladenden französischen Dienstwagens und sprach kaum ein Wort.
Auch Carla gegenüber war er sehr einsilbig. Sie konnte es ihm ansehen, wie sehr ihn die Vorkommnisse beschäftigten. Er verzog sich mit Pfeife und einer Flasche kühlem Weizenbier auf den schattigen Balkon. Erst als auf dem Elektrogrill zwei feinmarmorierte Hüftsteaks brutzelten, taute er langsam auf.
»Nichts als pure Sensationsgier«, grollte er. »Zeitungen, Radiosender, Fernsehen – am liebsten hätten sie noch die Ameisen auf der Leiche fotografiert. Und dann dieser Staatsanwalt! Immer bemüht, sich selbst im besten Licht zu präsentieren. Fehler machen ja nur die anderen.«
»Habt ihr denn wirklich so viel falsch gemacht?«
»Ach was«, ereiferte sich Lindt, »wir haben nur versucht, eine Massenhysterie zu vermeiden und wenn dieser beschissene Zettel nicht gewesen wäre …«
»Dann hätte wohl niemand jemals den Toten vom Ruhestein gefunden.«
»Den hat auch niemand vermisst«, entfuhr es ihm spontan. »Entschuldigung, so wollte ich es nicht sagen, aber der Kühn hat noch angerufen, als wir wieder hier im Präsidium waren. Sie hatten Papiere in seiner Kleidung gefunden. Irgendein alleinstehender Sonderling, der ganz zurückgezogen gelebt hat.«
Lustlos kaute er auf einem Bissen seines Steaks herum. »Oskar, schmeckt es dir nicht?« Mangelnder Appetit war selbst in Extremfällen bei Lindt kaum einmal zu finden.
»Du weißt nicht, wie es weitergehen soll, stimmts?«
Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Seine Niedergeschlagenheit hielt auch am nächsten Morgen an. Die SoKo-Besprechung und die Konferenz mit den Freudenstädter Kollegen brachte kaum etwas Neues.
Der anonyme Brief wies keinerlei Spuren auf. Der Täter hatte wirklich sehr professionell gearbeitet.
Die Rechtsmedizin war immer noch dabei, die schon stark in Verwesung übergegangenen Leichenteile zu begutachten. Ein Spezialist für Biospuren hatte seine Arbeit aufgenommen und wollte versuchen, einen ungefähren Todeszeitpunkt festzustellen. Die Entwicklungsstadien von Insektenlarven aus den Körperöffnungen des Toten sollten dazu analysiert werden.
»Ob der Wanderer tatsächlich mit einer Drahtschlinge stranguliert wurde, kann gar nicht mehr sicher festgestellt werden«, informierte Franz-Otto Kühn seine Karlsruher Kollegen. »Überall ist starker Tierfraß festzustellen.«
Sternberg schüttelte sich angeekelt: »Das stelle ich mir lieber nicht in allen Einzelheiten vor. Mir reicht, was ich gesehen habe.« Paul Wellmann beruhigte ihn: »Ist doch normal, Jan. Auch im Holzsarg kommen irgendwann mal die Würmer – nur nicht ganz so
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