Wall Street Blues
möglich?
Er wartete.
»Es gibt eine Kopie von dem Schlüssel...« begann sie stockend.
»Ich weiß«, sagte er, ohne nachsichtiger zu werden.
»Woher wissen Sie das?« Sie war verblüfft.
»Ich habe sie. Von Ihnen.«
Sie runzelte die Stirn. »Nein. Sie verstehen nicht«, sagte sie. »Ich habe Ihnen den Schlüssel...«
»Nein«, sagte er freundlich, als redete er mit einem Kind. «Sie haben mir die Kopie gegeben.«
»Entschuldigung, ich bin ganz durcheinander«, sagte sie und drückte sich an die Barre.
»Der eine, den Sie mir gegeben haben, wurde nie gebraucht«, sagte er. »Er wurde frisch geschliffen.«
»Wie konnten Sie das feststellen?« Sie fühlte sich bloßgestellt, als ob es ihre Idee gewesen wäre, die Kopie machen zu lassen. »Es hätte der Schlüssel sein können, den Barry mir gegeben hat.« Zum Teufel mit Smith, dachte sie. Ihretwegen stehe ich jetzt im Regen. Nein. Meinetwegen. Ich mache immer mit, weil es einfacher ist. »Ich dachte, er wäre es, als ich ihn Ihnen gab.«
»Aber Sie hatten eine Kopie gemacht.«
Sie starrte ihn an. »Wieso sind Sie sich so sicher?«
»Die Kanten waren noch rauh, und ich bin gut im Raten.«
»Der andere Schlüssel ist in meinem Büro«, sagte sie niedergeschlagen, nicht fähig, ihm in die Augen zu sehen. Warum schämte sie sich so?
»Warum haben Sie es getan?« fragte er.
»Ich habe es nicht getan.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Aber ich habe mitgemacht, also bin ich schuldig.« Einen Moment, einen sehr kurzen Moment lang schimmerte ein eigenartiger Ausdruck in Silvestris Augen.
»Aha?«
»Sie denken anders?« fragte sie abwehrend.
»Wie ich es weiß, war es Ihre Idee, Miss Wetzon, und Miss Smith überredete Sie, ihn ihr zur Aufbewahrung im Büro zu lassen.« Silvestris Augen waren harter Schiefer.
Wetzon war erschüttert. »Smith hat Ihnen das erzählt? Ich kann nicht glauben, daß sie sagte...« Sie starrte ihn empört und bestürzt an.
»Aber sie hat«, sagte er.
»Wie kann sie das gesagt haben?« Sie merkte, daß sie stammelte. »Es ist nicht wahr, es ist einfach nicht wahr. So ist es überhaupt nicht gewesen. Sie ist meine Freundin, sie ist angeblich meine Freundin...«
»Ich muß jetzt gehen. Denken Sie darüber nach, was ich gesagt habe. Das ist kein Spiel, Miss Wetzon. Ich erwarte, von Ihnen zu hören — und zwar bald.«
»Sie sind ein harter Mensch, Silvestri.« Sie kämpfte gegen die Tränen.
»Ich bin Detective«, sagte er schroff. »Ich bin neugierig. Ich stelle Fragen. Dinge, die nicht zusammenpassen, stören mich.«
Sie hörte ihn nicht gehen. Sie hielt sich an der Barre fest, um nicht umzufallen. Warum hatte sie ihm nicht von Smith und den fünfundzwanzigtausend Dollar erzählt? Was versuchte Smith mit ihr zu machen? Was zum Teufel ging hier vor? Sie mußte Smith direkt morgen früh zur Rede stellen.
Und schlimmer noch war die Demütigung, daß Silvestri Smith geglaubt hatte. Sie kam sich klein und billig vor, wie ein Stück Dreck. Automatisch ging sie in die erste Position, linke Hand an der Barre, Kopf gerade, Schultern hängend, und dann kamen die Tränen.
A lso, was hältst du davon, Carlos?« fragte Wetzon. Sie saßen im winzigen Mezzaluna an der Third Avenue an einem der Fensterplätze auf dem Podium. Alle Tische waren besetzt, und es hatte sich auf dem weißen Keramikziegelboden und bis auf die Straße eine lärmende Warteschlange gebildet. Trotz des Lärms aus der offenen Pizzaküche und von der Musik saßen sie in einer Nische mit perfekter Akustik. Sie befanden sich in einem Lokal zu ebener Erde, in dem ein wildes Durcheinander herrschte, die Tische dicht an dicht, ringsum Gemälde vom Boden bis zur Decke.
Der winzige Tisch war überladen mit einer gewaltigen Schüssel mit gedünsteten Muscheln und zwei kleinen Pizzas, eine mit Thunfisch und Sardellen und eine normale Margarita mit Tomaten und Mozzarella. Sie hatten einen wunderbaren Wein zur Hälfte geleert.
»Was ich davon halte?« sagte Carlos. »Willst du wirklich wissen, was ich davon halte? Bist du bereit?«
Sie nickte. »Nur zu, Carlos, das ist ernst.«
»Ich weiß, daß es ernst ist, Herzblatt, und ich möchte dir sagen, was ich schon früher gesagt habe: Dieses verrückte Weib, mit dem du beruflich verbunden bist, ist mir nicht geheuer.«
»Ach, Carlos, ich weiß nicht. Ich kann dir nicht recht geben. Sie hat sich in letzter Zeit komisch benommen, aber...«
»Komisch? Du, hör mal, das ist ganz schön untertrieben.«
Carlos deutete mit einem langen
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