Wall Street Blues
Aktentasche auffangen. »Stellen Sie mir nach?« Reiß dich zusammen, Wetzon, sagte sie sich. Wenn du dich ihm wirklich am liebsten an den Hals werfen möchtest, sag’s ihm...
»Sie verheimlichen mir etwas, Miss Wetzon«, sagte er barsch und sah sie einschüchternd an. »Muß ich Sie daran erinnern, daß wir es mit Mord zu tun haben?«
Sie wich ihm aus, in die Wohnung zurück, nicht fähig, seinem anklagenden Blick standzuhalten. »Möchten Sie hereinkommen?« Ihre Worte kamen schärfer heraus, als sie beabsichtigt hatte. Sie ging ins Wohnzimmer und setzte sich. Er folgte ihr.
»Möchten Sie lieber ins Revier kommen und mit dem Lieutenant sprechen?«
»Jetzt?« Sie sah nervös auf die Uhr. Es war schon halb neun.
Er überging ihre Frage. »Ich gebe Ihnen bis morgen mittag. Ich möchte Sie spätestens dann im Revier sehen, wenn nicht früher.« Sein Ton war kalt und hart.
»Mann, danke.« Sie fragte sich, wie es gelaufen wäre, wenn Metzger den Fall übernommen hätte. Wann immer sie und Silvestri sich begegneten, was immer sie zueinander sagten, alles nahm einen perönlichen Ton an und ging daneben. Ihre Lippen zitterten. Ich breche zusammen, dachte sie. Sie wischte mit den Fingerspitzen die Nässe von ihren Wangen und sah Silvestri trotzig an.
Seine Augen waren schwer zu ergründen.
»Werfen Sie einen Blick darauf«, sagte er, indem er die Bücher auf ihrem Couchtisch beiseite schob und eine Reihe von Fotos ausbreitete, alle in verschiedenen Größen, schwarz-weiß und farbig, sie verteilte und aneinanderreihte, als spiele er Bridge.
Sie beobachtete sein Gesicht, während er jedes einzelne hinlegte, aber er verriet nichts. Ein Pokergesicht, das dem Dummkopf Karten gibt, mußte sie denken. Smith hatte recht. Du bist ein Dummkopf, sagte sie streng zu sich. Sie betrachtete die Fotos, seiner Anwesenheit, seines Geruchs überdeutlich bewußt — sein Aftershave, Zigarettenrauch an seiner Kleidung, der Kaffee in seinem Atem. »Was soll ich damit?«
»Wir suchen jemand, den Sie möglicherweise im Four Seasons gesehen haben und der bei unserem ersten Verhör nicht zur Sprache kam.«
»Aha«, sagte sie und blickte auf die Bilder. »Halt. Das ist Dinah Shore. Was macht die denn hier?«
»Ich nehme sie immer dazu«, meinte Silvestri freundlich. »Sie ist eine ganz besondere Dame. Sie würden staunen, wie viele Leute sie herausgreifen als die Person, die sie sahen...«
»Großartig«, sagte sie sarkastisch. »Es war ein Test, und ich habe bestanden.« Sie legte das Foto von Dinah wieder an seinen Platz. »Nun, ich habe sie an dem Abend nicht gesehen. Ich mag sie übrigens«, fügte sie hinzu, ohne zu lächeln.
»Machen Sie weiter«, sagte er wieder ernst.
Sie zog ein anderes Foto aus den ausgelegten heraus. »Ich glaube, ich habe sie in der Damentoilette gesehen, nur trug sie eine dunkle Brille, aber ich erinnere mich an das Haar. Es hat eine höchst erstaunliche Farbe, wie Kupfer.« Sie überlegte einen Augenblick. »Ich kenne sie, glaube ich. Wer ist sie?« Die Augen der Frau auf dem gestellten Farbfoto sahen Wetzon vielsagend an.
»Sind Sie sicher?« fragte Silvestri, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Unbedingt. Sagen Sie mir, wer sie ist?«
»Wissen Sie es nicht?«
»Nein. Würde ich Sie sonst fragen? Woher sollte ich es wissen?« Sie betrachtete das Foto eingehend. »Wer ist sie?« Silvestri zog eine Braue hoch. »Vermutlich werden Sie es mir nicht sagen.«
»Vermutlich werde ich es Ihnen nicht sagen.« Er schob die anderen Fotos zusammen und verstaute sie in seiner Innentasche. »Nicht, wenn Sie es nicht schon wissen.«
Sie standen beide auf.
»Sind Sie auf dem Weg ins Büro?« fragte er. »Wenn ja, kann ich Sie dort absetzen.«
»Okay, Sie können mich an der Second und 49. absetzen.«
Er hatte ein anderes Auto, einen grünen Plymouth Valiant, der bessere Tage gesehen hatte. »Neues Auto?« fragte sie im Spaß.
»Geliehen.«
Das war alles, was sie sprachen. Er fuhr schweigend und konzentrierte sich auf den Verkehr.
Wetzon fühlte ihren Entschluß ins Wanken geraten. Ihr wurde immer unwohler in der ganzen Geschichte. Er hielt an der Bushaltestelle in der Nähe der 49. Street und drehte sich zu ihr um. »Möchten Sie was sagen?« fragte er, ohne den Motor auszuschalten. Sie sah ihn unschlüssig an. »Der Lieutenant ist ein ziemlich gemeiner Typ«, sagte Silvestri. »Kein Vergleich mit mir.«
»Klar, Sie sind die Sanftmut in Person, Silvestri.« Sie öffnete die Tür und stieg aus, dann beugte
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