Wall Street Blues
dem wohlverdienten Klaps auf die Schulter — in Scotts Fall die Parisreise — waren sie knickrig.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Wetzon«, sagte Scott Fineberg, ohne bei dem Namen mit der Wimper zu zucken.
Er stand ernsthaft mit Oppenheimer und Paine Webber im Gespräch, nachdem Wetzon die Kontakte hergestellt hatte.
»Also, was verkaufst du, Kleiner?« fragte Barry ungeduldig. »Was trinken Sie, Wetzon?«
»Heineken.«
»Zwei Heineken hier drüben bitte«, rief Barry durch den Lärm. An der Bar standen sie nun in drei Reihen, und hinter ihnen schoben sich immer noch Leute zu Harry’s hinein.
»Ich habe letzten Monat sechzig Mille mit diesen neuen Staatsanleihen gemacht, die wir anbieten.«
»Mann, sechzig Mille, toll!« Barry schlug Scott Fineberg auf den Rücken, dann nahm er die Biergläser, die ihnen über die Köpfe anderer Gäste gereicht wurden. »Bis später.« Er wandte sich abrupt ab und entfernte sich von Fineberg; Wetzon folgte, indem sie kurzen Blickkontakt mit Fineberg suchte und nickte.
»Verlogenes Arschloch«, sagte Barry. »Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber genau das ist er. Er sieht solche Zahlen nicht einmal von weitem. Ich kenne ihn. Das bringt der unmöglich.«
»Warum sagen Sie das?«
»Weil er eine taube Nuß mit guten Beziehungen ist, und sie geben ihm einfach was zu tun.«
»Tatsächlich?«
»Klar, Mann, das weiß doch jeder. Glauben Sie mir, auf mein Wort.«
»Hey, Mann, daß man dich mal wieder sieht? Lange her, was?«
»Wie gefällt’s dir bei Jake, Stark?« fragte eine whiskeyschwere Stimme. Der dichte Zigarettenrauch und die gedämpfte Beleuchtung der Bar machten es schwierig, jemanden zu erkennen, bevor man mit ihm zusammenstieß, was allerdings ständig passierte, da sich so viele Leute hin und her schoben. Man mußte schreien, um von seinem Nebenmann gehört zu werden. Wetzon fragte sich, wie die Kellner behalten konnten, wer was bestellte und wie sie zahlten. In diesem Augenblick streckte ein Kellner in weißer Schürze eine Rechnung in den kleinen freien Raum zwischen ihr und Barry.
Barry übersah den Zettel und beugte sich zu der kleinen, unansehnlichen Frau hinunter, die nach seiner Stelle bei Jake gefragt hatte. Wetzon sah den Kellner an, der die Rechnung hielt, und nahm sie an. »Vielen Dank«, sagte sie.
»Keine Ursache«, bedeutete er mit den Lippen, verbeugte sich leicht und verschwand im Rauch.
»Es ist phantastisch, Mildred, du solltest es irgendwann mal probieren.« Barry lachte höhnisch.
»Zieht er immer noch seine Pyramidenmasche ab?« fragte Mildred genauso höhnisch. Ihr Gesicht war mehr als reizlos, es war ausgesprochen häßlich. Lederne Haut, fleckig, ein Bärtchen auf der runzligen Oberlippe, darüber eine sehr große Hakennase. Selbst in dem Schummerlicht glitzerten ihre Augen vor Bosheit. »Paß auf, was du tust, Mr. Klugscheißer.« Sie reckte sich und stieß mit einem knochigen Finger nach Barrys Brust.
»Hör mal, Mildred«, sagte Barry ruhig zu ihr hinunter, »du willst doch nicht etwa, daß meine Freundin hier glaubt, du drohst mir?« Seine bisher freundliche Stimme bekam einen gefährlichen Unterton. »Und nimm deinen verdammten Finger von meiner Brust.«
»Ich drohe dir nicht, du kleiner Scheißer, ich warne dich. Häng deinen Arsch nicht zu weit raus, oder Jake macht Gulasch aus dir und spült dich das Klo runter.« Sie blies ihm Zigarettenrauch ins Gesicht und ging weg.
Wetzon sah, wie Barry in der Dunkelheit die Faust ballte. Er machte einen Schritt hinter Mildred her, dann blieb er stehen und zuckte die Achseln.
»Du meine Güte, wer war denn die Schreckensgestalt?« fragte Wetzon, eine Hand auf seinem Arm. Sie konnte die Spannung durch seinen Rockärmel spüren.
»Mildred Gleason. Jake Donahues Ehemalige.«
Das war also Mildred Gleason. Eine der berühmten First Ladys der Wall Street, dachte sie, wer hätte geahnt, daß sie so eine derbe Frau war, die wie ein Mann aussah und redete.
»Mann, wie sie ihn haßt«, bemerkte Wetzon.
»Sie hat wohl allen Grund dazu«, grollte Barry. »Sie hat ihm auf die Sprünge geholfen. Er nahm ihr Geld, dann ließ er sie fallen. Er begann als Makler in der Firma ihres Vaters, heiratete die Tochter des Chefs, übernahm die Firma, als der Alte starb, und änderte den Namen in seinen eigenen. Sie wird stinksauer, wenn sie nur hört, daß er gute Leute anheuert und ein Schweinegeld verdient oder überhaupt Geld verdient.«
»Aber hat sie jetzt nicht ihre eigene Firma?«
»Ja,
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