Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
abgelöst?«
»Martin Oscarsson. Der ging in Pension.«
»Er war also Lars Bormans Chef?«
»Ja.«
»Wo ist er zu erreichen?«
»Er wohnt in Limhamn, in einem schönen Haus am Sund. Möllevägen, an die Hausnummer kann ich mich leider nicht erinnern. Ich nehme an, er steht im Telefonbuch.«
»Das war es eigentlich. Tut mir leid, daß ich stören mußte«, sagte Wallander. »Wissen Sie übrigens, wie Lars Borman gestorben ist?«
»Es soll Selbstmord gewesen sein«, antwortete Thomas Rundstedt.
»Viel Erfolg bei der Etatplanung«, sagte Wallander. »Werden die Steuern erhöht?«
|163| »Gute Frage«, grinste Thomas Rundstedt und eilte in die Konferenz zurück.
Wallander nickte dem Mann an der Rezeption zu und ging hinaus zu seinem Wagen. Telefonisch besorgte er sich die vollständige Adresse von Martin Oscarsson: Möllevägen 32.
Kurz vor halb zwölf war er dort.
Eine Steinvilla, über deren großer Eingangstür die Jahreszahl 1912 stand. Wallander durchquerte den Vorgarten und klingelte. Die Tür wurde von einem älteren Mann im Trainingsanzug geöffnet. Wallander stellte sich vor, zeigte seine Legitimation und wurde hereingebeten. Im Gegensatz zu der düsteren Fassade der Steinvilla zeichnete sich die Inneneinrichtung durch helle Farbtöne und eine gewisse Weiträumigkeit aus. Von irgendwoher war Musik zu hören. Wallander meinte, die Stimme des Varietékünstlers Ernst Rolf zu erkennen. Martin Oscarsson führte ihn ins Wohnzimmer und bot ihm Kaffee an. Wallander lehnte dankend ab.
»Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Lars Borman zu sprechen. Ihren Namen habe ich von Thomas Rundstedt. Lars Borman starb vor einem Jahr, kurz bevor Sie in Pension gingen. Die offizielle Erklärung lautete, er habe Selbstmord begangen.«
»Warum erkundigen Sie sich nach Lars Borman?« fragte Martin Oscarsson, und Wallander spürte seine abweisende Haltung.
»Sein Name ist in einer laufenden Ermittlung aufgetaucht.«
»Was für eine Ermittlung?«
Wallander entschied sich, offen zu sein. »Sie wissen vielleicht aus den Zeitungen, daß vor einigen Tagen in Ystad ein Anwalt ermordet wurde. Im Zusammenhang mit diesem Fall muß ich einige Fragen über Lars Borman stellen.«
Martin Oscarsson sah ihn lange schweigend an. Dann sagte er: »Obwohl ich ein alter Mann bin und müde, wenn auch noch nicht ganz gebrochen, muß ich gestehen, daß ich neugierig werde. Ich beantworte Ihre Fragen, wenn ich kann.«
»Lars Borman arbeitete als Revisor bei der Bezirksverwaltung«, begann Wallander. »Was hatte er eigentlich für Aufgaben? Und wie lange war er bei Ihnen beschäftigt?«
|164| »Ein Revisor ist ein Revisor«, sagte Martin Oscarsson. »Die Berufsbezeichnung verrät, womit er sich beschäftigt; das heißt, er revidiert, er überprüft die Buchführung, in diesem Falle die des Bezirks. Er wacht darüber, daß alles bestimmungsgemäß abläuft, daß die vom Verwaltungsausschuß festgesetzten Ausgaben nicht überschritten werden. Aber er kontrolliert auch, ob die Leute wirklich ihr volles Gehalt bekommen. Dabei muß man berücksichtigen, daß ein Bezirk wie ein sehr großes Unternehmen ist, wie ein Industrieimperium, bestehend aus vielen einzelnen Firmen. Die wichtigste Aufgabe der Bezirksverwaltung ist es, das Gesundheitswesen abzusichern. Aber daneben gibt es viele andere Zweige, Bildung und Kultur zum Beispiel. Lars Borman war natürlich nicht unser einziger Revisor. Er kam Anfang der 80er Jahre zu uns, vom Gemeindeverband.«
»War er ein tüchtiger Revisor?«
Martin Oscarssons Antwort kam sehr bestimmt: »Er war der beste Revisor, dem ich in meinem ganzen Berufsleben begegnet bin.«
»Inwiefern?«
»Er arbeitete schnell und dennoch gründlich. Er engagierte sich sehr in seinem Fach und machte ständig Vorschläge, wie der Bezirk Geld sparen könnte.«
»Ich habe gehört, daß man ihn als einen sehr ehrlichen Mann charakterisiert hat.«
»Natürlich war er das. Aber das ist doch nichts Sensationelles; Revisoren pflegen ehrlich zu sein. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die kommen nicht weit in der Verwaltung.«
Wallander überlegte kurz, bevor er fortfuhr. »Dann begeht er Selbstmord. Kam das unerwartet?«
»Gewiß kam das unerwartet. Aber gilt das nicht für alle Selbstmorde?«
Später konnte Wallander nicht sagen, wann die Veränderung eingesetzt hatte.
Vielleicht eine Spur von Unsicherheit in Martin Oscarssons Stimme, vielleicht ein gewisser Unwille, der sich in seiner Art zu antworten äußerte.
|165| Für
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