Wallander 05 - Die falsche Fährte
appellieren, seinen Urlaub zu verschieben, und er würde schließlich nachgeben. Seine Hoffnung, daß sein Schreibtisch bis Ende Juni von schwerwiegenden Fällen frei bliebe, würde sich nicht erfüllen.
Sie sahen die Sanddünen vor sich und hielten an. Ein Mann, der gewartet und ihren Wagen gehört haben mußte, kam ihnen entgegen. Wallander war erstaunt, daß er nicht älter als dreißig zu sein schien. Wenn der Tote Wetterstedt war, konnte dieser Mann nicht viel älter als zehn gewesen sein, als Wetterstedt von seinem Posten als Justizminister abgetreten und aus dem Bewußtsein der Menschen verschwunden war. Wallander war damals selbst ein junger Kriminalassistent gewesen. Im Wagen hatte er versucht, sich Wetterstedts Aussehen in Erinnerung zu rufen. Er war ein Mann mit kurzgeschnittenem Haar und randloser Brille gewesen. Wallander hatte sich vage an seine Stimme erinnert. Eine knatternde Stimme, stets selbstsicher, nie bereit, einen Fehler einzugestehen. So meinte er, sich an ihn erinnern zu können.
Der Mann, der ihnen entgegenkam, stellte sich als Göran Lindgren vor. Er trug kurze Hosen und einen dünnen Pulli. Wallanders erster Eindruck war, daß er sehr erschüttert war. Sie folgten ihm zum Strand hinunter. Jetzt, im Regen, war der Strand verlassen. Göran Lindgren führte sie zu einem großen Ruderboot, das kieloben |74| dalag. Auf der anderen Seite war ein breiter Spalt zwischen dem Sand und dem Süllbord des Bootes.
»Da drunter liegt er«, sagte der Mann mit unsicherer Stimme.
Wallander und Martinsson sahen einander an, als hofften sie noch immer, daß alles nur Einbildung sei. Dann gingen sie auf die Knie und blickten unter das Boot. Das Licht war schwach, aber sie erkannten trotzdem ohne Schwierigkeit den Körper, der dort lag.
»Wir müssen das Boot umdrehen«, sagte Martinsson leise, als fürchte er, der Tote könne ihn hören.
»Nein«, antwortete Wallander. »Wir drehen überhaupt nichts um.« Dann stand er rasch auf und wandte sich an Göran Lindgren. »Ich nehme an, Sie haben eine Taschenlampe«, sagte er. »Sonst hätten Sie keine Details erkannt.«
Der Mann nickte verblüfft und holte eine Stablampe aus einer Plastiktüte, die neben dem Boot stand. Wallander beugte sich wieder hinunter und leuchtete unter das Boot.
»Pfui Teufel«, sagte Martinsson neben ihm.
Das Gesicht des Toten war voller Blut. Aber sie erkannten trotzdem, daß die Haut von der Stirn an bis auf die Schädeldecke abgerissen war und daß Göran Lindgren recht gehabt hatte. Unter dem Boot lag Wetterstedt. Sie standen auf. Wallander reichte die Taschenlampe zurück. »Woher wußten Sie, daß es Wetterstedt ist?« fragte er.
»Er wohnt doch hier«, sagte der Mann und zeigte auf eine Villa direkt links vom Boot. »Außerdem war er ja bekannt. Man erinnert sich an einen Politiker, der viel im Fernsehen gewesen ist.«
Wallander nickte skeptisch.
»Wir brauchen die volle Besetzung«, sagte er zu Martinsson. »Geh du und ruf an. Ich warte hier.«
Martinsson eilte davon. Der Regen nahm zu.
»Wann haben Sie ihn entdeckt?« fragte Wallander.
»Ich habe keine Uhr bei mir«, erwiderte Lindgren. »Aber es kann nicht länger als eine halbe Stunde her sein.«
»Von wo haben Sie angerufen?«
Lindgren zeigte auf die Plastiktüte. »Ich hab ein Handy.«
Wallander betrachtete ihn aufmerksam. »Er liegt unter einem umgedrehten Boot«, sagte er. »Von außen ist er nicht zu sehen. |75| Sie müssen sich hinuntergebeugt haben, um ihn sehen zu können?«
»Es ist mein Boot«, antwortete Lindgren einfach. »Oder genauer gesagt, das von meinem Vater. Ich mache öfter einen Spaziergang hier am Strand, wenn ich Feierabend habe. Weil es anfing zu regnen, wollte ich die Plastiktüte unter das Boot legen. Als ich damit gegen etwas stieß, habe ich mich runtergebeugt. Zuerst dachte ich, es sei ein Brett herausgefallen. Dann sah ich, was es war.«
»Noch geht es mich nichts an«, sagte Wallander. »Aber ich frage mich jedenfalls, warum Sie eine Taschenlampe bei sich haben.«
»Wir haben eine Hütte in Sandskogen«, gab Lindgren zurück. »Bei Myrgången. Da ist im Moment kein Licht, weil wir die Leitungen umlegen. Wir sind Elektriker, mein Vater und ich.«
Wallander nickte. »Sie müssen hier warten«, sagte er. »Wir werden alle diese Fragen nachher noch einmal stellen. Haben Sie etwas angefaßt?«
Lindgren schüttelte den Kopf.
»Hat ihn außer Ihnen noch jemand gesehen?«
»Nein.«
»Wann haben Sie oder Ihr Vater das Boot zuletzt
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