Wallander 05 - Die falsche Fährte
seinem Vater angestrengt und von schlechtem Gewissen geprägt war, fühlte er jetzt eine große Trauer darüber, daß er im Begriff war, ihn zu verlassen. Er trat ans Fenster und sah hinaus in den Sommer.
Es gab eine Zeit, in der wir einander so nahestanden, daß nichts zwischen uns kommen konnte. Damals, als die Seidenritter in ihren glänzenden amerikanischen Schlitten kamen und deine Bilder kauften. Schon damals hast du davon geredet, einmal nach Italien zu fahren. Ein anderes Mal, vor ein paar Jahren erst, wolltest du zu Fuß nach Italien gehen. Da habe ich dich im Schlafanzug und mit einer Tasche in der Hand mitten auf einem Acker gefunden. Aber jetzt werden wir die Reise machen. Und nichts darf dazwischenkommen.
Wallander ging zum Schreibtisch zurück und rief seine Schwester in Stockholm an. Der Anrufbeantworter teilte ihm mit, daß sie erst am Abend zurück sein würde.
Er brauchte eine ganze Weile, um sich nach dem Besuch seines |158| Vaters wieder seiner Ermittlung zuzuwenden. Er war beunruhigt und konnte sich nur schwer konzentrieren. Noch sperrte er sich dagegen, die Tragweite dessen, was er gehört hatte, zu akzeptieren. Er wollte es einfach nicht wahrhaben.
Nachdem er mit Hansson gesprochen hatte, fertigte er eine gründliche Übersicht und eine Beurteilung des Standes der Ermittlungen an. Kurz vor elf rief er Per Åkeson zu Hause an und legte ihm seine Standpunkte dar. Danach fuhr er in die Mariagatan, duschte und zog sich um. Um zwölf war er wieder im Präsidium. Auf dem Weg in sein Zimmer überholte er Ann-Britt Höglund. Er erzählte ihr von dem blutigen Stück Papier, das er hinter der Baracke des Straßenbauamts gefunden hatte.
»Hast du die Psychologen in Stockholm erreicht?« fragte er.
»Ich bekam einen Menschen namens Roland Möller zu fassen«, antwortete sie. »Er war in seinem Sommerhaus bei Vaxholm. Alles, was nötig ist, ist ein formelles Ersuchen von Hansson als dem kommissarischen Chef.«
»Hast du mit ihm gesprochen?«
»Er hat es schon getan.«
»Gut«, sagte Wallander. »Laß uns jetzt über etwas ganz anderes reden. Wenn ich sage, daß Verbrecher an den Ort des Verbrechens zurückkehren – was denkst du dann?«
»Daß das ein Mythos und eine Wahrheit zugleich ist.«
»Inwiefern ist es ein Mythos?«
»Insofern, als es eine allgemeingültige Regel sein soll. Etwas, was immer eintrifft.«
»Und was sagt die Wahrheit?«
»Daß es tatsächlich manchmal passiert. Das klassische Beispiel aus unserer eigenen Rechtsgeschichte stammt wohl hier aus Schonen. Dieser Polizist, der Anfang der fünfziger Jahre eine Reihe von Morden beging und dann selbst an der Aufklärung der Verbrechen beteiligt war.«
»Das ist kein gutes Beispiel«, wandte Wallander ein. »Er mußte ja zurückkehren. Ich spreche von solchen, die freiwillig zurückkehren. Warum tun sie das?«
»Um die Polizei herauszufordern. Um ihr Selbstgefühl zu kitzeln. Oder um herauszufinden, wieviel die Polizei weiß.«
|159| Wallander nickte nachdenklich.
»Warum fragst du das alles?«
»Weil ich ein sonderbares Erlebnis hatte«, antwortete Wallander. »Ich hatte das Gefühl, bei Carlmans Hof draußen jemanden zu sehen, den ich auch unten am Strand schon gesehen hatte. Als wir den Mord an Wetterstedt untersuchten.«
»Warum sollte es denn nicht ein und dieselbe Person sein können?« fragte sie erstaunt.
»Ja, warum nicht? Aber an diesem Menschen war etwas Besonderes. Ich komme nur nicht darauf, was es war.«
»Ich glaube, da kann ich dir nicht helfen.«
»Ich weiß«, sagte Wallander. »Aber ich will, daß von jetzt an die Schaulustigen vor den Absperrungen so diskret wie möglich fotografiert werden.«
»Von jetzt an?«
Wallander erkannte, daß er zuviel gesagt hatte. Er klopfte dreimal mit einem Zeigefinger auf Holz. »Ich hoffe natürlich, daß nichts mehr passiert«, sagte er. »Aber für den Fall, daß.«
Er begleitete Ann-Britt Höglund zu ihrem Zimmer. Dann verließ er das Polizeigebäude. Sein Vater saß nicht mehr auf dem Sofa. Er fuhr zu einem Imbiß an einer der Ausfallstraßen der Stadt und aß einen Hamburger. Ein Thermometer zeigte 26 Grad an. Um Viertel vor eins war er zurück im Präsidium.
Die Pressekonferenz an diesem Mittsommertag im Polizeipräsidium von Ystad war insofern denkwürdig, als Wallander vollkommen die Fassung verlor und den Raum verließ, bevor das Ganze vorüber war. Hinterher weigerte er sich außerdem, sein Verhalten zu bereuen. Die meisten seiner Kollegen waren
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