Wallander 05 - Die falsche Fährte
was Linda im Auto gesagt hatte. Einige Wörter aus einem Gespräch, Wörter, denen er zunächst keine große Bedeutung beigemessen hatte, die jedoch auf einmal einen ganz anderen Sinn annahmen. Er setzte sich auf und runzelte die Stirn. Was hatte sie gesagt?
Daß Erwachsene oft so kindisch sind.
Etwas daran ließ ihm keine Ruhe.
Erwachsene sind oft so kindisch.
Plötzlich kam er darauf. Im ersten Moment konnte er nicht begreifen, wie er so leichtsinnig und nachlässig hatte sein können. Er zog die Schuhe an, nahm eine Taschenlampe aus einer der Küchenschubladen und verließ die Wohnung. Er fuhr aus der Stadt hinaus, bog vom Österleden nach rechts ab und hielt vor Wetterstedts Villa, die im Dunkeln lag. Er öffnete die Tür in der Gartenmauer. Er fuhr zusammen, als eine Katze wie ein Schatten zwischen den Johannisbeersträuchern davonhuschte. Dann leuchtete er mit der Taschenlampe am Steinfundament der Garage entlang. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er faßte die zerrissenen Blätter des Comic-Hefts mit Daumen und Zeigefinger und leuchtete sie an. Sie waren aus einer Nummer von
Superman
. Er suchte in seinen Taschen nach einem Plastikbeutel und steckte die Seiten hinein.
|187| Dann fuhr er nach Hause. Es ärgerte ihn noch immer, daß er so nachlässig gewesen war. Er hätte es besser wissen müssen.
Erwachsene sind wie Kinder.
Ein erwachsener Mann konnte sehr wohl auf dem Garagendach gesessen und in einer Nummer von
Superman
gelesen haben.
|188| 16
Als Wallander in der frühen Morgendämmerung erwachte, war eine Wolkenbank von Westen herangezogen und hatte gegen fünf Uhr Ystad erreicht. Es war Montag, der 27. Juni. Aber noch regnete es nicht. Wallander blieb liegen und versuchte vergebens, wieder einzuschlafen. Kurz vor sechs stand er auf, duschte und trank Kaffee. Die Müdigkeit und der Schlafmangel lagen wie ein dumpfer Schmerz in seinem Körper. Mit Wehmut erinnerte er sich an die Zeit, als er zehn oder fünfzehn Jahre jünger gewesen war und sich morgens nie müde fühlte, wie wenig Schlaf er auch bekommen haben mochte. Doch die Zeit war vorbei und würde nicht wiederkehren.
Um fünf vor sieben trat er durch die Tür des Polizeipräsidiums. Ebba war schon da und reichte ihm lächelnd ein paar Zettel mit Telefonnotizen.
»Ich dachte, du hättest Urlaub«, wunderte sich Wallander.
»Hansson hat mich gebeten, noch ein paar Tage zu bleiben«, erklärte Ebba. »Weil momentan so viel los ist.«
»Was macht deine Hand?«
»Wie ich schon gesagt habe. Es macht keinen Spaß, alt zu werden. Dann geht es mit allem beschissen.«
Wallander konnte sich nicht erinnern, je gehört zu haben, daß Ebba sich dermaßen drastisch ausdrückte. Er überlegte kurz, ob er ihr von seinem Vater und dessen Krankheit erzählen sollte. Aber er ließ es sein. Er holte Kaffee und setzte sich an seinen Schreibtisch. Nachdem er die Telefonzettel durchgesehen und auf den Stoß gelegt hatte, den er am Abend zuvor bekommen hatte, rief er in Riga an. Er spürte sogleich einen Anflug von schlechtem Gewissen, weil es sich um ein Privatgespräch handelte und er so altmodisch war, seine Dienststelle am liebsten nicht mit privaten Kosten zu belasten. Er dachte an eine Situation vor ein paar Jahren, |189| als Hansson, von Wettleidenschaft besessen, auf Pferde setzte. Er hatte halbe Arbeitstage damit verbracht, bei den verschiedenen Trabrennbahnen anzurufen, um die letzten Stalltips einzuholen. Alle wußten davon, aber keiner hatte reagiert. Wallander hatte sich darüber gewundert, daß er anscheinend der einzige war, der meinte, jemand müsse einmal mit Hansson reden. Doch eines Tages waren plötzlich alle Trabrennprogramme und halb ausgefüllten Wettscheine von Hanssons Schreibtisch verschwunden. Wallander hatte gerüchteweise gehört, daß Hansson ganz einfach beschlossen hatte, mit dem Wetten Schluß zu machen, bevor er sich verschuldete.
Baiba antwortete nach dem dritten Klingeln. Wallander war nervös. Er befürchtete noch immer, sie könnte bei jedem Telefongespräch erklären, ihn nicht mehr treffen zu wollen. So sicher er sich seiner eigenen Gefühle war, so wenig sicher war er sich der ihren. Aber als er jetzt ihre Stimme hörte, klang sie froh. Er ließ sich von ihrer Fröhlichkeit sogleich anstecken. Sie erzählte, sie habe den Entschluß, nach Tallinn zu fahren, spontan gefaßt. Eine Freundin, die hinfahren wollte, habe sie gefragt, ob sie mitkomme. In dieser Woche hatte sie keine Lehrveranstaltungen an der Universität,
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