Wallander 06 - Die fünfte Frau
zu essen. Wallander hatte nicht mehr das Gefühl, daß die Reise unnötig gewesen war.
Aber als er ins Hotel kam, wartete dort eine Nachricht von Bo Runfelt auf ihn. Er hatte sich ein Auto gemietet und war nach Växjö gefahren. Dort hatte er gute Freunde und wollte bei denen die Nacht verbringen. Er würde früh am nächsten Morgen wieder in Älmhult sein. Wallander war einen kurzen Moment verärgert über Runfelts Verhalten. Was, wenn er ihn am Abend gebraucht hätte? Runfelt hatte eine Telefonnummer in Växjö hinterlassen. Doch Wallander hatte keinen Grund, ihn anzurufen. In gewisser Weise war er auch erleichtert, den Abend allein verbringen zu können. Er ging auf sein Zimmer, um zu duschen. Er hatte nicht einmal eine Zahnbürste bei sich. Er zog sich an und suchte dann einen Laden, wo er so spät noch kaufen konnte, was er brauchte. Dann aß er in einer Pizzeria, an der er zufällig vorbeikam. Die ganze Zeit dachte er an das Unglück, bei dem Runfelts Frau ertrunken war. Er spürte, daß es ihm jetzt langsam gelang, sich ein Bild zu machen. Nach dem Essen ging er auf sein Hotelzimmer. Kurz vor neun rief er bei Ann-Britt Höglund zu Hause an. Er hoffte, daß ihre Kinder schliefen. Als sie sich meldete, erzählte er in knappen Worten, was gewesen war. Er selbst wollte wissen, ob sie Frau Svensson ausfindig gemacht hatten, die vermutlich Gösta Runfelts letzte Klientin war.
|269| »Noch nicht«, sagte sie. »Aber irgendwie kriegen wir das noch hin.«
Er beendete das Gespräch. Dann schaltete er den Fernseher ein und hörte abwesend einem Diskussionsprogramm zu. Darüber schlief er ein.
Als er kurz nach sechs am Morgen wach wurde, fühlte er sich ausgeschlafen. Um halb acht hatte er bereits gefrühstückt und sein Zimmer bezahlt. Dann setzte er sich in die Rezeption und wartete. Bo Runfelt kam ein paar Minuten später. Keiner von beiden kommentierte es, daß er die Nacht in Växjö verbracht hatte.
»Wir machen einen Ausflug«, sagte Wallander. »Zu dem See, in dem Ihre Mutter ertrunken ist.«
»Hat die Reise sich gelohnt?« fragte Bo Runfelt.
Wallander war irritiert. »Ja«, sagte er. »Und Ihre Anwesenheit ist praktisch ausschlaggebend gewesen. Ob Sie es glauben oder nicht.«
Das stimmte natürlich nicht. Doch Wallander sprach die Worte mit solchem Nachdruck aus, daß Bo Runfelt zumindest spürbar nachdenklich wurde.
Rune Nilsson wartete auf sie. Sie gingen auf einem Pfad durch den Wald. Es war windstill, nahe null Grad. Der Boden unter ihren Füßen war hart. Vor ihnen breitete sich das Wasser aus. Es war ein langgestreckter See. Rune Nilsson zeigte auf einen Punkt irgendwo in der Mitte. Wallander spürte, daß es Bo Runfelt unangenehm war, den Ort zu besuchen. Wallander nahm an, daß er noch nie hiergewesen war.
»Es ist schwer, sich einen eisbedeckten See vorzustellen«, sagte Rune Nilsson. »Alles verändert sich, wenn der Winter kommt. Nicht zuletzt die Entfernungen erlebt man anders. Was einem im Sommer weit weg zu sein scheint, kann plötzlich sehr nah wirken. Oder umgekehrt.«
Wallander ging an den Strand. Das Wasser war dunkel. Er glaubte, die Kontur eines kleinen Fisches an einem Stein zu erkennen. Im Hintergrund hörte er, daß Bo Runfelt fragte, ob der See tief sei. Rune Nilssons Antwort verstand er jedoch nicht.
Was ist passiert? fragte er sich. Hatte Gösta Runfelt sich im |270| voraus entschieden? Daß er an diesem Sonntag seine Frau ertränken wollte? So mußte es gewesen sein. Irgendwie hatte er das Eisloch vorbereitet. Auf die gleiche Art und Weise, wie jemand die Planken angesägt hatte, die über den Graben bei Holger Eriksson führten. Oder Gösta Runfelt gefangengehalten hatte.
Wallander stand lange da und blickte auf den See, der sich vor ihm ausbreitete. Aber was er zu sehen meinte, spielte sich in seiner Vorstellung ab.
Sie gingen durch den Wald zurück. Beim Wagen verabschiedeten sie sich von Rune Nilsson. Wallander schätzte, daß sie gut und gern vor zwölf Uhr wieder in Ystad sein konnten.
Aber er hatte sich verrechnet. Kaum hatten sie Älmhult hinter sich gelassen, als der Wagen stehenblieb. Der Motor streikte. Wallander rief den örtlichen Vertreter des Pannendienstes an, dem er angeschlossen war. Der Mann kam schon nach knapp zwanzig Minuten und stellte schnell fest, daß es sich um einen schwerwiegenden Defekt handelte, den er nicht an Ort und Stelle beheben konnte. Es gab keine andere Möglichkeit, als den Wagen in Älmhult zurückzulassen und den Zug nach
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