Wallander 06 - Die fünfte Frau
Richtung konzentriert. Ich glaube jetzt ganz sicher, daß eine Frau mit im Spiel ist.«
»Warum glaubst du das?«
Er erzählte ihr von dem Gespräch mit Kristina Blomberg. Wie |363| sie sich die Bluse vom Leib gerissen und die Narben von den Mißhandlungen vorgezeigt hatte, denen sie ausgesetzt gewesen war.
»Du redest von einer mißhandelten Frau«, sagte sie. »Nicht von einer mordenden Frau.«
»Das ist vielleicht ein und dasselbe«, sagte Wallander. »Ich muß mich auf jeden Fall davon überzeugen, falls ich mich irre.«
»Wo fangen wir an?«
»Am Anfang. Wie im Märchen. Und das erste, was geschah, war, daß jemand in einem Graben eine Pfahlgrube für Holger Eriksson in Lödinge vorbereitete. Stell dir vor, daß es eine Frau war. Was siehst du dann?«
»Daß es natürlich keine Unmöglichkeit ist. Nichts war zu groß oder zu schwer.«
»Warum hat sie gerade diese Vorgehensweise gewählt?«
»Um den Eindruck zu erwecken, daß es ein Mann getan hat.«
Wallander dachte lange über ihre Antwort nach, bevor er fortfuhr. »Sie hat uns also auf eine falsche Fährte gelockt.«
»Nicht unbedingt. Es kann auch sein, daß sie demonstrieren wollte, wie die Gewalt wiederkehrt. Wie ein Bumerang. Oder warum nicht beides?«
Wallander dachte nach. Ihre Erklärung war nicht unmöglich. »Das Motiv«, fuhr er fort. »Wer wollte Holger Eriksson töten?«
»Das ist weniger klar als im Fall Gösta Runfelt. Es gibt zumindest verschiedene Möglichkeiten. Über Holger Eriksson wissen wir noch immer nur wenig. So wenig, daß es schon sonderbar ist. Sein Leben scheint nahezu gegen jeden Einblick abgeschottet gewesen zu sein. Als sei sein Leben ein Gelände, zu dem der Zutritt verboten ist.«
»Wie meinst du das?«
»Wie ich es sage. Wir müßten mehr wissen. Über einen Mann, der achtzig Jahre alt ist und sein ganzes Leben in Schonen verbracht hat. Eine Person, die gut bekannt war. Daß wir so wenig wissen, ist nicht natürlich.«
»Wie erklärst du es?«
»Ich weiß nicht.«
»Haben die Leute Angst, über ihn zu reden?«
|364| »Nein.«
»Was ist es dann?«
»Wir haben nach einem Söldner gesucht«, sagte sie. »Wir haben einen Mann gefunden, der tot ist. Wir haben gelernt, daß diese Menschen oft unter angenommenen Namen auftreten. Ich hatte die Idee, daß das auch für Holger Eriksson gelten könnte.«
»Daß er Söldner war?«
»Das glaube ich nicht. Aber daß er unter einem angenommenen Namen aufgetreten ist. Er braucht nicht immer Holger Eriksson gewesen zu sein. Das kann die Erklärung dafür sein, daß wir so wenig über sein Privatleben wissen. Daß er von Zeit zu Zeit ein anderer gewesen ist.«
Wallander dachte an Holger Erikssons früheste Gedichtsammlungen. Die er unter einem Pseudonym herausgebracht hatte. Später hatte er seinen richtigen Namen gewählt. »Es fällt mir schwer zu glauben, was du sagst, vor allem, weil ich kein Motiv sehe, das Sinn ergibt. Warum verwendet ein Mensch einen angenommenen Namen?«
»Weil er etwas tut, wobei er nicht ertappt werden will.«
Wallander sah sie an.»Du meinst, er kann einen Namen angenommen haben, weil er homosexuell war? In einer Zeit, als man das nach Möglichkeit geheimhielt?«
»Das ist eine denkbare Erklärung.«
Wallander nickte. Trotzdem zweifelte er. »Wir haben die Schenkung an die Kirche in Jämtland«, sagte er. »Das muß etwas bedeuten. Warum tut er das? Und die Polin, die verschwand. Eins an ihr macht sie zu etwas Speziellem. Hast du darüber nachgedacht, was das ist?«
Ann-Britt Höglund schüttelte den Kopf.
»Daß sie die einzige Frau ist, die überhaupt in dem Untersuchungsmaterial über Holger Eriksson auftaucht.«
»Die Kopien des Untersuchungsmaterials aus Östersund sind gekommen«, sagte sie. »Aber ich glaube nicht, daß sich schon jemand damit befaßt hat. Außerdem ist sie nur eine Randfigur. Wir haben keine Beweise dafür, daß sie und Holger Eriksson sich kannten.«
Wallander war auf einmal sehr bestimmt. »Das ist richtig«, |365| sagte er. »Das muß so schnell wie möglich geklärt werden. Wir müssen herausfinden, ob diese Verbindung existiert.«
»Wer soll das machen?«
»Hansson. Er liest schneller als wir alle. Außerdem trifft er oft direkt das, was wichtig ist.«
Sie machte sich eine Notiz. Dann verließen sie für einen Augenblick Holger Eriksson.
»Gösta Runfelt war ein brutaler Mann«, sagte Wallander. »Das können wir festhalten. Darin erinnert er also an Holger Eriksson. Außerdem hat Runfelt seine Frau
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