Wallander 06 - Die fünfte Frau
haben. Sie soll das Gefühl haben, daß ich die Fragen, die ich ihr stelle, auch einer großen Zahl anderer Menschen stelle. Routinefragen eher.«
»Und was willst du erreichen?«
»Ich weiß nicht. Aber ich glaube trotzdem, daß es nötig ist. Etwas kann in den Zwischenräumen auftauchen.«
Sie gingen ins Haus. Wallander hatte plötzlich eine Vorahnung, daß nicht alles war, wie es sollte. Er blieb auf der Treppe stehen. Birch sah ihn an. »Was ist?«
»Ich weiß nicht. Vermutlich nichts.«
Sie stiegen in den ersten Stock hinauf. Birch klingelte. Sie warteten. Das Klingeln hallte drinnen in der Wohnung. Sie blickten sich an. Wallander bückte sich und öffnete den Briefschlitz. Alles war sehr still.
Birch klingelte noch einmal. Mehrere lange Signale. Niemand kam. »Sie muß zu Hause sein«, sagte er. »Keiner hat gemeldet, daß sie das Haus verlassen hat.«
»Dann ist sie durch den Schornstein verschwunden«, sagte Wallander. »Hier ist sie nicht.«
Sie liefen die Treppe hinunter. Birch riß die Tür des Polizeiwagens auf. Der Mann am Steuer las die Zeitung.
»Ist sie rausgegangen?« fragte Birch.
»Sie ist drinnen.«
»Genau das ist sie nicht.«
»Gibt es einen Hinterausgang?« fragte Wallander.
Birch gab die Frage weiter an den Mann hinter dem Steuer.
»Soweit ich weiß, nicht.«
»Das ist keine Antwort«, gab Birch wütend zurück. »Entweder gibt es einen Hinterausgang, oder es gibt keinen.«
Sie gingen wieder ins Haus. Eine halbe Treppe hinunter. Die Tür zum Kellergeschoß war verschlossen.
»Gibt es einen Hausmeister?« fragte Wallander.
»Dafür haben wir keine Zeit«, sagte Birch.
Er untersuchte die Scharniere. Sie waren rostig.
»Wir können es ja versuchen«, murmelte er vor sich hin.
Er nahm Anlauf und warf sich gegen die Tür, die aus den Scharnieren brach.
|435| »Du weißt ja, was es bedeutet, gegen die Vorschriften zu verstoßen«, sagte er.
Nicht die leiseste Ironie schwang in Birchs Kommentar mit. Sie gingen hinein. Der Gang zwischen verschiedenen mit Gittern abgesperrten Kellerräumen führte zu einer Tür. Birch öffnete. Sie standen am Fuß einer Hintertreppe.
»Sie ist also über die Hintertreppe verschwunden«, sagte er. »Und keiner hat sich auch nur die Mühe gemacht, nachzusehen, ob es eine gibt.«
»Sie kann noch in der Wohnung sein«, sagte Wallander.
Birch verstand. »Selbstmord?«
»Ich weiß nicht. Aber wir müssen rein. Und wir haben kaum die Zeit, auf einen Schlosser zu warten.«
»Ich krieg Schlösser meistens auf«, sagte Birch. »Ich muß nur erst ein paar Werkzeuge holen.«
Fünf Minuten später kam er atemlos zurück. Wallander war inzwischen wieder zu Katarina Taxells Wohnungstür gegangen und hatte weiter geklingelt. Ein älterer Mann hatte die Tür daneben aufgemacht und gefragt, was los sei. Wallander reagierte gereizt. Er holte seinen Polizeiausweis hervor und hielt ihn dem Mann dicht vors Gesicht. »Wir wären dankbar, wenn Sie Ihre Tür geschlossen hielten«, sagte er. »Sofort. Und sie bleibt zu, bis wir etwas anderes sagen.«
Der Mann verschwand. Wallander hörte, wie er eine Sicherheitskette vor die Tür hakte.
Birch hatte das Türschloß nach wenigen Minuten geöffnet.
Sie gingen hinein. Die Wohnung war leer. Katarina Taxell hatte ihr Kind mitgenommen. Der Hintereingang führte auf eine Seitenstraße. Birch schüttelte den Kopf. »Dafür muß sich jemand verantworten«, sagte er.
»Das erinnert mich an Bergling«, sagte Wallander. »War es nicht so, daß er auf der Rückseite hinausspazierte, während die Bewachung sich auf die Vorderseite konzentrierte?«
Sie gingen durch die Wohnung. Der Aufbruch hatte offenbar in großer Eile stattgefunden. Wallander blieb vor einem Kinderwagen und einem Tragesitz in der Küche stehen.
»Sie muß mit dem Wagen abgeholt worden sein«, sagte er. |436| »Auf der anderen Straßenseite ist eine Tankstelle. Jemand muß gesehen haben, wie eine Frau mit Kind das Haus verlassen hat.«
Birch verschwand. Wallander ging noch einmal durch die Wohnung. Er versuchte, sich vorzustellen, was passiert sein konnte. Warum verläßt eine Frau mit ihrem Neugeborenen die Wohnung? Der Hintereingang gab die Antwort, daß sie heimlich verschwinden wollte. Also mußte sie auch gewußt haben, daß das Haus bewacht wurde.
Sie oder jemand anders.
Jemand kann von außen die Bewachung entdeckt haben. Der sie dann angerufen und die Abholung organisiert hat. Er setzte sich auf einen Küchenstuhl. Noch eine Frage war wichtig.
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