Wallander 06 - Die fünfte Frau
Befanden sich Katarina Taxell und ihr Kind in Gefahr? Oder war die Flucht aus der Wohnung freiwillig? Nachbarn hätten bemerkt, wenn sie Widerstand geleistet hätte. Also ist sie freiwillig gegangen. Dafür gibt es eigentlich nur einen Grund. Sie will die Fragen der Polizei nicht beantworten.
Er stand auf und ging zum Fenster. Er sah Birch unten stehen und mit einem Angestellten von der Tankstelle sprechen. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Wallander zuckte zusammen. Er ging ins Wohnzimmer. Es klingelte wieder. Er nahm den Hörer ab.
»Katarina?« fragte eine Frauenstimme.
»Sie ist nicht hier«, antwortete er. »Wer ist denn da?«
»Wer sind Sie?« fragte die Frau. »Ich bin Katarinas Mutter.«
»Mein Name ist Kurt Wallander. Ich bin Polizeibeamter. Es ist nichts passiert. Nur Katarina ist nicht hier. Weder sie noch ihr Kind.«
»Das ist unmöglich.«
»Das sollte man meinen. Aber sie ist nicht hier. Sie wissen nicht vielleicht, wohin sie gegangen sein kann?«
»Sie sollte nicht weggehen, ohne mir Bescheid zu sagen.«
Wallander entschloß sich schnell. »Es wäre gut, wenn Sie herkommen könnten. Wenn ich richtig verstanden habe, wohnen Sie nicht weit von hier.«
»Es dauert keine zehn Minuten«, antwortete sie. »Was ist denn passiert?«
|437| Er konnte hören, daß sie Angst hatte. »Es gibt sicher eine einfache Erklärung«, sagte er. »Wir können darüber sprechen, wenn Sie herkommen.«
Als er den Hörer auflegte, hörte er Birch eintreten.
»Wir haben Glück«, sagte Birch. »Ich habe mit einem gesprochen, der auf der Tankstelle arbeitet. Ein hellwacher Kerl, der aufgepaßt hat.«
Er hatte ein paar Notizen auf einem ölbefleckten Blatt Papier gemacht.
»Heute morgen hielt hier ein roter Golf. Ungefähr zwischen neun und zehn, eher gegen zehn. Eine Frau kam aus der Hintertür des Hauses. Sie trug ein Kind. Sie setzte sich ins Auto, das daraufhin wegfuhr.«
»Hat er auf den Fahrer geachtet?«
»Der Fahrer ist nicht ausgestiegen.«
»Er weiß also nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war?«
»Ich habe ihn gefragt. Er gab eine Antwort, die interessant ist. Er sagte, das Auto wäre weggefahren, als hätte ein Mann am Steuer gesessen.«
Wallander wunderte sich. »Und woraus hat er das geschlossen?«
»Daß der Wagen einen Kavaliersstart gemacht hat. Losschoß. Frauen fahren selten so.«
»Hat er sonst noch etwas bemerkt?«
»Nein. Aber vielleicht erinnert er sich an mehr, wenn man ein bißchen hilft. Er schien, wie gesagt, ein aufmerksamer Mensch zu sein.«
Wallander berichtete, daß Katarina Taxells Mutter auf dem Weg sei.
»Was kann nur passiert sein? Ob sie in Gefahr ist?« fragte Birch.
»Ich glaube nicht. Aber ich kann mich natürlich irren.«
Sie gingen ins Wohnzimmer. Eine Babysocke lag verlassen auf dem Fußboden.
Wallander schaute sich im Zimmer um. Birchs Augen folgten seinem Blick.
»Irgendwo hier muß die Lösung stecken«, sagte Wallander. »In |438| dieser Wohnung existiert etwas, das uns zu der Frau führt, die wir suchen. Wenn wir sie finden, finden wir auch Katarina Taxell. Etwas hier wird uns sagen, in welche Richtung wir uns wenden müssen. Das müssen wir finden, und wenn wir das Parkett rausreißen.«
Birch sagte nichts.
Sie hörten das Schloß schnappen. Sie hatte also einen eigenen Schlüssel. Dann trat Katarina Taxells Mutter ins Wohnzimmer.
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Den Rest dieses Tages blieb Wallander in Lund. Mit jeder Stunde, die verging, wuchs seine Überzeugung, daß sie über Katarina Taxell die größten Möglichkeiten zur Lösung des Rätsels hatten, wer die drei Männer ermordet hatte. Sie suchten nach einer Frau. Es bestand kein Zweifel mehr, daß sie in der einen oder anderen Weise tief in den Fall verwickelt war. Aber sie wußten nicht, ob sie allein war und welche Motive sie antrieben.
Das Gespräch mit Katarina Taxells Mutter führte zu nichts. Sie begann in der Wohnung umherzulaufen und hysterisch nach ihrer Tochter und ihrem Enkelkind zu suchen. Schließlich war sie so verwirrt, daß sie gezwungen waren, Hilfe anzufordern und dafür zu sorgen, daß sie in ärztliche Behandlung kam. Aber zu diesem Zeitpunkt war Wallander überzeugt, daß sie nicht wußte, wohin ihre Tochter verschwunden war. Die wenigen Freundinnen, von denen die Mutter sich vorstellen konnte, daß sie sie geholt haben könnten, wurden sofort angerufen. Alle wirkten gleich ratlos. Wallander wollte sich jedoch nicht auf das verlassen, was er am Telefon hörte. Auf seine Bitte hin
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