Wallander 06 - Die fünfte Frau
sich das, was ich jetzt sage, komisch anhört. Als wollte ich dies hier bagatellisieren. Aber ich meine etwas anderes. Es ist nur wichtig, die Proportionen nicht aus den Augen zu verlieren. Falsche Schlüsse zu ziehen. Dies hier waren Jungen, die vielleicht nur ein paar Jahre älter sind als Terese. Die meinen das nicht so böse. Sie wissen nur nicht, was sie da eigentlich tun. Die Ursache ist, daß Leute wie Eskil Bengtsson und andere draußen in Lödinge anfangen, Bürgerwehren zu organisieren und gegen die Polizei zu hetzen.«
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich habe gehört, daß die Leute auch hier in der Gegend davon reden.«
»Ich gebe zu, daß es schwerfällt, klar zu denken, wenn die eigenen Kinder betroffen sind. Trotzdem müssen wir versuchen, an einer Art von Vernunft festzuhalten.«
»All diese Gewalt«, sagte sie. »Woher kommt die?«
»Es gibt kaum böse Menschen«, antwortete Wallander. »Jedenfalls glaube ich, daß sie sehr selten sind. Dagegen gibt es böse |430| Umstände. Die diese ganze Gewalt auslösen. Und genau diese Umstände müssen wir uns vornehmen.«
»Wird es nicht immer nur schlimmer und schlimmer?«
»Vielleicht«, erwiderte Wallander zögernd. »Aber wenn es so ist, dann liegt das daran, daß die Umstände sich verändern. Nicht daran, daß böse Menschen heranwachsen.«
»Dieses Land ist so hart geworden.«
»Ja«, sagte Wallander. »Es ist sehr hart geworden.«
Er gab ihr die Hand und ging zu dem wartenden Streifenwagen.
»Wie geht es Terese?« fragte der Polizist am Steuer.
»Sie ist wohl vor allem geschockt«, antwortete Wallander. »Und das sind ihre Eltern auch.«
»Muß man da nicht die Wut kriegen?«
»Ja«, antwortete Wallander. »Ich hab sie auch.«
Wallander kehrte ins Präsidium zurück. Hansson und Ann-Britt Höglund waren noch in der Schule. Wallander erfuhr, daß Lisa Holgersson in Stockholm war. Einen Moment lang war er irritiert. Aber sie war informiert worden über das, was geschehen war. Sie würde am Nachmittag zurückkommen. Wallander suchte Svedberg und Hamrén.
Nyberg war wegen weiterer Fingerabdrücke draußen auf Holger Erikssons Hof. Die beiden Polizisten aus Malmö waren irgendwo unterwegs. Er ging mit Svedberg und Hamrén ins Sitzungszimmer. Alle waren empört über das, was Martinssons Tochter passiert war. Sie hatten nur eine kurze Unterredung, dann ging jeder an seine Arbeit. Sie hatten am Abend vorher die Aufgaben genau verteilt. Wallander rief Nyberg über sein Mobiltelefon an.
»Wie geht es?« fragte er.
»Es ist schwierig«, sagte Nyberg. »Aber vielleicht haben wir auf seinem Vogelturm einen undeutlichen Abdruck gefunden. An der Unterseite des Geländers. Es kann ja sein, daß es keiner von ihm ist. Wir suchen weiter.«
Wallander überlegte. »Meinst du, daß der, der ihn getötet hat, auf dem Turm gewesen ist?«
»Ganz unwahrscheinlich ist es doch nicht.«
|431| »Du kannst recht haben. In dem Fall gibt es vielleicht auch Zigarettenkippen.«
»Die hätten wir beim erstenmal gefunden. Jetzt ist es definitiv zu spät.«
Wallander erzählte von seinem nächtlichen Gespräch mit Ylva Brink im Krankenhaus.
»Das Namensschild liegt in einer Plastiktüte«, sagte Nyberg. »Wenn sie eine gute Nase hat, riecht sie vielleicht noch etwas.«
»Wir sollten es sofort versuchen. Du kannst sie selbst anrufen. Svedberg hat ihre Telefonnummer.«
Nyberg versprach, das zu erledigen. Wallander entdeckte, daß jemand ein Papier auf seinen Tisch gelegt hatte. Es war ein Schreiben vom Patent- und Meldeamt, daß eine Person namens Harald Berggren diesen Namen nicht offiziell geändert oder angenommen hatte. Wallander legte das Papier zur Seite. Es war zehn Uhr, und es regnete immer noch. Er dachte an ihre Sitzung vom Vorabend. Wieder kehrte die Unruhe zurück. Waren sie wirklich auf der richtigen Spur? Oder folgten sie einem Weg, der ins Nichts führte? Er trat ans Fenster. Der Wasserturm sah ihn an. Katarina Taxell ist unsere wichtigste Zeugin. Sie hat die Frau getroffen. Was wollte die Frau nachts auf der Entbindungsstation?
Er ging zurück zum Schreibtisch und rief Birch in Lund an. Erst nach zehn Minuten hatte er ihn lokalisiert.
»Vor ihrem Haus ist alles ruhig«, sagte Birch. »Keine anderen Besuche als die einer Frau, die wir eindeutig als ihre Mutter identifiziert haben. Katarina war einmal draußen und hat eingekauft, als die Mutter da war und auf das Kind aufgepaßt hat. Es liegt ein Supermarkt in der Nähe. Das einzig Bemerkenswerte war,
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