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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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das Haus. Der Regen war wieder stärker geworden. Kurz vor fünf war er zurück in Ystad. Er füllte ein Formular aus, auf dem Holger Eriksson als vermißt gemeldet wurde. Früh am nächsten Tag würden sie anfangen, ernsthaft nach ihm zu suchen.
    Wallander fuhr nach Hause. Unterwegs hielt er an und kaufte eine Pizza. Dann setzte er sich vor den Fernseher und aß. Noch immer hatte Linda nicht angerufen. Kurz nach elf ging er ins Bett und schlief sofort ein.
     
    Um vier Uhr am Mittwoch morgen wurde er aus dem Schlaf gerissen, weil er sich erbrechen mußte. Er kam nicht bis zur Toilette und hatte auch noch Durchfall. Ob es an der Pizza lag oder eine Magen-Darm-Grippe war, die er vielleicht aus Italien mitgebracht hatte, konnte er nicht beurteilen. Um sieben Uhr fühlte er sich so elend, daß er im Polizeipräsidium anrief, um Bescheid zu geben, daß er heute nicht käme. Er hatte Martinsson am Apparat.
    »Du weißt natürlich, was passiert ist?« fragte Martinsson.
    »Ich weiß nur, daß ich kotze und scheiße«, antwortete Wallander.
    »Eine Fähre ist in der Nacht gesunken«, fuhr Martinsson fort. »Irgendwo vor Tallinn. Hunderte von Menschen sind umgekommen. Und die meisten sind Schweden. Es sollen eine ganze Menge Polizisten auf der Fähre gewesen sein.«
    Wallander spürte, daß er wieder spucken mußte. Aber er blieb am Telefon. »Polizisten aus Ystad?« fragte er beunruhigt.
    »Keine von uns. Aber es ist furchtbar.«
    Es fiel Wallander schwer zu glauben, was Martinsson sagte. |55| Mehrere hundert Tote bei einer Schiffskatastrophe? So etwas passierte nicht. Auf keinen Fall in der Nähe von Schweden.
    »Ich glaube, ich muß aufhören«, sagte er. »Ich muß wieder kotzen. Aber auf meinem Tisch liegt ein Papier über einen Mann namens Holger Eriksson. Er ist verschwunden. Einer von euch muß die Sache in die Hand nehmen.«
    Er warf den Hörer auf und schaffte es gerade noch zur Toilette, bevor er wieder kotzen mußte. Als er danach auf dem Weg ins Bett war, klingelte das Telefon.
    Es war Mona. Seine Exfrau. Er wurde sogleich unruhig. Sie rief ihn nie an, es sei denn, es war etwas mit Linda.
    »Ich habe mit Linda telefoniert«, sagte sie. »Sie war nicht auf der Fähre.«
    Es dauerte einen Augenblick, bis Wallander begriff, was sie meinte. »Du denkst an die Fähre, die gesunken ist?«
    »Was denn sonst? Wenn Hunderte von Menschen bei einem Unglück sterben, rufe ich jedenfalls meine Tochter an und frage, ob es ihr gutgeht.«
    »Du hast natürlich recht«, sagte Wallander. »Du mußt entschuldigen, wenn ich ein bißchen schwer von Begriff bin. Aber ich bin krank. Ich kotze. Ich habe Darmgrippe. Vielleicht können wir an einem anderen Tag miteinander reden?«
    »Ich wollte nur, daß du dir keine Sorgen machst«, sagte sie.
    Das Gespräch war beendet. Wallander ging zurück ins Bett.
    Einen kurzen Augenblick dachte er an Holger Eriksson. Und an die Fährkatastrophe, die sich anscheinend in der Nacht ereignet hatte.
    Er fieberte. Kurz darauf schlief er.
    Ungefähr zur gleichen Zeit hörte es auf zu regnen.

|56| 4
    Schon nach einigen Stunden hatte er angefangen, an den Tauen zu nagen.
    Das Gefühl, wahnsinnig zu werden, war auch die ganze Zeit dagewesen. Er konnte nicht sehen.
    Irgend etwas bedeckte seine Augen und verdunkelte die Welt. Er konnte auch nicht hören. Etwas war in seine Ohren gestopft worden und drückte auf die Trommelfelle. Geräusche waren da. Aber sie kamen von innen. Ein inneres Rauschen, das hinausdrängte, nicht umgekehrt. Am meisten quälte ihn, daß er sich nicht rühren konnte. Das war es, was ihn wahnsinnig machte. Obwohl er lag, auf dem Rücken ausgestreckt, hatte er ständig das Gefühl zu fallen. Ein schwindelerregendes Fallen, ohne Ende. Vielleicht war es nur eine Halluzination, ein äußeres Bild für die Tatsache, daß er von innen heraus zerfiel. Der Wahnsinn war im Begriff, seinen Körper und sein Bewußtsein in Stücke zu zerteilen, die nicht mehr zusammenhingen.
    Dennoch versuchte er, sich an der Wirklichkeit festzuhalten. Er zwang sich verzweifelt, zu denken. Vernunft und die Fähigkeit, bis zum Äußersten die Ruhe zu bewahren, würden ihm vielleicht die Erklärung dafür geben, was geschehen war.
Warum konnte er sich nicht bewegen? Wo befand er sich? Und warum?
    Möglichst lange hatte er auch versucht, die Panik und den schleichenden Wahnsinn zu bekämpfen, indem er sich bemühte, die Kontrolle über die Zeit zu behalten. Er zählte Minuten und Stunden, zwang sich, an einer

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